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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Schroers, Heinrich: Die kirchlichen Baustile im LIchte der allgemeinen Kulturentwickelung, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0064

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dar. Die Patriarchate, Exarchate, Metropolitan-
sprengel, Diözesen, autokephalen Bisthümer und
ihre endlos rivalisirende.n Ansprüche erwecken
den Eindruck des Verwickelten und Gebroche-
nen, von dem der lateinische Westen voll-
kommen frei war. Er hatte in den ersten sechs
Jahrhunderten noch nicht einmal eine streng
durchgeführte Provinzialverfassung. Die Schran-
ken staatlicher Eintheilung verachtend, gibt sich
hier alles als grofs angelegt, klar und vielfach
gegliedert, auf ungehemmte Erweiterung be-
rechnet.

Nicht blos einer sozusagen unbeschränkten
räumlichen Erweiterung, sowohl in der Längen-
ais auch in der Breitenausdehnung, war die
Basilika fähig, indem einfach die Arkadenreihen
verlängert, und die Schiffe vermehrt werden
konnten, sondern auch einer innern, stilistischen
Weiterentwickelung. Die Geschichte hat in der
karolingischen Kunst, in der romanischen und
gothischen Epoche gezeigt, welch eine reiche
Entfaltung und Ausgestaltung der basilikalen
Grundform möglich war. Sie ist in dieser Hin-
sicht ein vortreffliches Abbild des römischen
Kirchenwesens, dessen unversiegliche, aber der
Urform stets treu bleibende Triebkraft sich
durch die Jahrhunderte der abendländischen
Kirchengeschichte hindurch erstreckt und immer
neue Entwickelungsphasen hervortreibt. Dem
entgegen ist in der griechischen Kirche, nach-
dem sie im IV. und V. Jahrh. die volle Aus-
bildung ihrer Verfassung, ihres Kultus, der ver-
schiedenen Aeufserungen des religiös-sittlichen
Lebens erreicht hat, der innere Fortschritt ein
so geringer und unmerklicher, dafs er dem aus
weiter Ferne das Ganze überblickenden Histo-
riker fast als Stillstand erscheint. Selbst die
Theologie, das echte Kind des beweglichen
griechischen Geistes, erlahmt seit dem VI. Jahrh.
und scheint einer langsamen F'.rstarrung ent-
gegen zu gehen. Gewifs, in der herkömmlichen
Redensart von der orientalischen und durch
den kaiserlichen Despotismus verursachten Un-
beweglichkeit dieser Kirche liegt eine starke
Uebertreibung, es pulsirt vielmehr noch Leben
in ihr. Aber diesem Leben sind keine höher
und weiter führenden Ziele gesteckt; es verläuft
in ruhiger Wiederkehr zu sich selbst, ohne neue
Bildungen aus sich heraus zu schaffen. Aehnlich
ergeht es dem Baustil dieser Kirche. Seiner
organischen Weiterentfaltung stehen Schranken
entgegen; die Möglichkeit der Kuppelspannung,

die das Herz der Centralanlage bildet, ist tech-
nisch begrenzt, die rechtwinkeligen Umgänge
sind keiner beliebigen Ausbildung fähig, die oft
versuchte Verbindung der basilikalen Form mit
dem Rundbau wird zu einer Verdunkelung des
ursprünglichen architektonischen Gedankens.
Alle Variationen bewegen sich in demselben
Kreise. Das ist eine stilistische und konstruk-
tive Nothwendigkeit, in denen aber leise und
unbewufst die Natur des griechischen Kirchen-
thums wiederklingt.

In besonderer Beziehung zum Kirchenbau
steht die Liturgie, da sie für wesentliche Theile
desselben das schöpferische Prinzip ist, und
das Bauwerk die Aufgabe hat, den liturgischen
Handlungen den zweckentsprechenden und wür-
digen Raum zu bieten. Bei den orientalisch-
griechischen Liturgien wiegt nun das ruhige
Gebet vor, breite Erzählung, sich in ähnlichen
Wendungen gleichmäfsig wiederholende Lob-
preisungen, unaufhörliches Flehen; sie haben
einen epischen Charakter. Die lateinische Li-
turgie hingegen enthält mehr kraftvolle und
lebendige Aktion; sie trägt einen dramatischen
Charakter. Den gleichen Unterschied wird man
in den Stilen finden. Hier, im Centralbau, drängt
sich als immer wiederkehrendes Konstruktions-
motiv der Kreis und Halbkreis auf, in unab-
lässigem, aber stets neue Reize enthüllendem
Wechsel; in weitgezogenem sanften Flufse löst
sich eine Kurve aus der andern wie die wort-
reichen Doxologien des griechischen Gottes-
dienstes; die Empfindung einer feierlich ge-
tragenen, aber leidenschaftslosen Ruhe bemäch-
tigt sich der Seele; das Ganze ist wie die breite
Schilderung einer einzigen religiösen Grund-
stimmung, die sich in den gleichförmigen
Strophen eines Hymnus voll stiller Lyrik aus-
haucht. Dort, bei der Basilika, quillt thatkräf-
tiges Leben in den Schiffen, die in mächtigen,
zielbewufsten Zügen der Apsis zustreben, ferner
in der energisch emporspringenden Arkatur
der Säulen, in der sehnigen Kraft der Decken-
konstruktion, es zieht gleichsam eine klar fort-
schreitende Handlung durch das Bauwerk.

Wie der Grundrifs von der geschwungenen
Linie beherrscht wird, so auch durchaus der
Aufrifs. Ueberall, sowohl in den Gewölben der
Nebenräume und in der Kuppel des Mittel-
baues, als auch in der möglichsten Vermeidung
des gradlinigen Parallelismus der Einzelglieder
tritt sie zu Tage. Von der Halbkugelform der
 
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