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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Justi, Carl: Die Kathedrale von Granada und ihr Baumeister, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0129

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207

1896. — ZEITSCHRIFT KÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

208

dachpyramide mit Doppellaterne, macht sich die
Uebersetzung der leichten und luftigen Formen
des nordfranzösischen chevet in die gediegenen
und schweren des Uebergangstils noch am vor-
teilhaftesten, als vertrauenerweckendes Ge-
präge unerschütterlicher Festigkeit.

Diese Rotunde nun verleiht der Kathedrale
ihre besondere, sozusagen persönliche Physio-
gnomie, fast die Stellung eines Unikums. In
der räumlichen Anordnung und Konstruktion,
aber auch in liturgischer Beziehung. Sie be-
hauptet eine hervorragende Stelle in der Reihe
der Versuche, Elemente der Centralform mit
dem Basilikaplan zu verknüpfen, ein Problem,
das die Kirchenbaukunst durch das ganze Mittel-
alter, mehr noch im Süden als im Norden, be-
schäftigt hat.

Aus der Reihe der Kathedralen französischen
Stils, der sie sonst nach dem Grundrifs durch-
aus angehören würde, tritt sie heraus mit diesem
Altarhaus, das nicht mehr blofs, wie es von
Anbeginn der christlichen Zeit war, eine Fort-
setzung, ein abrundender Schlufs des Schiffes
ist. Es hat sich zu einem abgeschlossenen»
tempelartigen Raum innerhalb der Kirche ent-
wickelt. Die Verbindung mit der Westkirche
durch den Triumphbogen hat wirklich das An-
sehen eines mächtigen Thors, das uns eine
grofsartige Raumüberraschung ahnen läfst.

Ein Uebelstand war dabei nicht zu um
gehen. Zwar war der Altardienst vom Schiff
aus vollkommen sichtbar, aber die Perspektive
erlitt eine Unterbrechung. Die vollständige
Uebersicht des Raumes von Westen her wurde
geopfert. Doch ergänzt die Phantasie leicht
die dem Auge entzogenen Theile und umgibt
zugleich die Kapelle mit dem Zauber des Ge-
heimnifsvollen. Nur von dein breiten Umgang
aus und durch seine sieben Bogen enthüllt sich
die ganze Rotunde dem Besucher; und Jedermann
gestand, dafs er keine Kathedrale kenne, die
den Gedanken eines Sanktuariums, eines Altar-
orts angemessener, würdiger, solenner zum Aus-
druck bringe. Sie bot zugleich herrlichen Raum
für den Chor, der sich in der ersten Zeit hier
befand und erst später dem herrschenden Ge-
brauch gemäfs in das Schiff verlegt wurde. —

Wie stellt sich nun die Frage nach dem
Antheil der beiden Baumeister? War der merk-
würdige Plan schon eine Erfindung des ersten,
gothischen Architekten, Enrique de Egas? Oder
«st er, wie allgemein angenommen wird, Siloe's

Eigenthum; also eine in dem ersten, regelrechten,
herkömmlichen Grundrifs vorgenommene Ver-
änderung?

Ersteres scheint auch Moreno anzunehmen:
„Siloe habe nur das Polygon der Altarkapelle
auf die cylindrische Form zurückgeführt".8) Für
die andere Ansicht scheint das Renaissance-
artige der Centralform zu sprechen; auch die
Verbindung des Namens Diego de Siloe mit
Bramante in der angeführten Stelle Arphe's
könnte darauf hinweisen.

Eine prüfende Betrachtung des Grundrisses
will sich aber mit dieser Annahme nicht ver-
einigen. In ihm ist keine Spur von Aende-
rungen zweiter Hand. Er ist aus einem Gufs.
Es will nicht gelingen, die traditionelle Form
hineinzupassen. Der innere Kreis steht in ge-
schlossener konstruktiver Verstrebung mit dem
Halbzehneck des Umgangs bis in den Kapellen-
kranz hinein. „No dorne is, in fact, so con-
struclively arranged", sagt Fergusson.

Dagegen läfst sich für die Autorschaft des
Egas mehr als ein Grund anführen.

Die Centralform stand keineswegs seinem
Ideenkreis fern. Er hat um dieselbe Zeit,
früher und später, drei Monumentalbauten mit
centralem Grundrifs ausgeführt. Die grofsen
Hospitäler von Santiago und Granada (für
Ferdinand und Isabella) und das von Santa
Cruz in Toledo sind nach einem und dem-
selben Schema gedacht: ein Quadrat, das durch
den Einbau einer Kirche in Form des grie-
chischen Kreuzes in vier gleiche Säulenhöfe
getheilt und über der Durchschneidung jener
langen Kreuzarme von einer hohen gothischen
Kuppel bekrönt wird.

Die von ihm im gröfsten Maafsstab ver-
suchte Form des Altarhauses — aus den
sieben Seiten eines Zehnecks, also in Form
eines Hufeisenbogens — kommt schon früher
in der Gothik vor. Uns in Deutschland wohl-
bekannt sind: die Marienkirche zur Wiese in
Soest, die Klosterkirche zu Berlin, die St. Jo-
hanniskirche zu Brandenburg u. a. Bei Ge-
legenheit der Klosterkirche bemerkt Schnaase
(V. 471), dafs diese Anordnung sehr vortheil-
haft wirke, da sie dem Chorraum eine freiere,
luftigere Haltung gebe.

3) En ]a cual [la planta] Siloe no debiö hacer
mas variaciön esencial (|ue reducir A forma cilfndrica
el poligono de la capilla mayor y engrosar sus estri-
bos. Guia de Granada p. 257.
 
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