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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Goldschmidt, Adolph: Die Gregorsmesse in der Marienkirche in Lübeck
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0140

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227

18!>6. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 8.

228

Der heilige GregorI. in karminrotherBrokatkasel
kniet auf einem reichen Teppich, der über die
bunten Marmorfliesen gebreitet ist, vor dem
Altar im Gebet. Sein Haupt umgibt ein
lichter Strahlenkranz. Zwei Diakonen hinter
ihm in Dalmatika von gleicher Farbe halten
das untere Ende seiner Kasel und die Tiara.
Etwas weiter rechts kniet ganz en face der
schon erwähnte Bischof, der mit einem Kneifer
auf der Nase ausgerüstet, den Text aus einem
Buch nachliest. Neben ihm folgen im Zuge
drei Bischöfe mit der hohen Mitra und mit
reichen Pluvialien bekleidet, deren violetter
und grüner Stoff von breiten Goldborten um-
säumt ist. Den Schlufs bilden drei Cardinäle,
von denen der vorderste durch sein schwarzes
Gewand, unter dem allerdings zinnoberrothe
Unterärmel sichtbar werden, wohl als Mitglied
eines Ordens gekennzeichnet ist. An den
Seiten des Altares hält links ein Geistlicher im
weifsen Chorhemd Kerze und Räucherfafs,
rechts ein anderer vornehmeren Ranges das
Vortragekreuz. Neben ihm schaut ein lang-
bärtiger Kopf aus einer Dominikanerkapuze,
vielleicht der des Grofsmeisters oder eines
Cardinais des Ordens, denn die rothe Kappe,
die unter der Kapuze, und die violetten Aermel,
die unter der Kutte erscheinen, erheben ihn
über den Rang eines gewöhnlichen Ordens-
geistlichen. Ganz in der Ecke steht der ein-
zige Laie auf dem Bilde, ein grofser bartloser
Mann mit krausem braunen Haar, bekleidet
mit einem grünen Rock, der vorne offen ist
und ein rothes Wamms durchscheinen läfst.
Im Gürtel schimmert ein weifser Messergriff;
in der rechten Hand hält er den Pfauenwedel,
in der linken eine geschlossene Schriftrolle.
Keiner von all' den Anwesenden scheint das
Wunder zu bemerken, das den Augen des
Papstes allein sichtbar wird. Nur er erblickt
den blutenden Körper Christi, der mit der
Dornenkrone auf dem Haupte vor ihm auf
dem Altar erscheint, mit einem schwermüthigen
Blick auf die Versammlung schaut und das
Blut seiner fünf Wunden in den Kelch zu
seinen Füfsen fliefsen läfst. Sein Körper hebt
sich ab von dem weifsen Tuch, welches die
Rückwand des Altares bedeckt und mit sämmt-
lichen Zeichen der Passion bemalt ist, und im
Hinweis auf das Leiden entrollen auf dem dar-
unter sichtbaren Predellenbilde Propheten ihre
Spruchbänder.

Vielleicht spiegelt sich die Erscheinung
wieder in dem Entzücken des Papstes, denn
der Dominikaner blickt wie spähend auf den
Altar, aber er scheint nichts zu entdecken, und
auch die Blicke einiger anderer, die in dieser
Richtung gehen, verrathen kein Erstaunen.

Ebenfalls seine Aufmerksamkeit nur dem
Papste zuwendend kniet links im Vordergrund
ein Geistlicher, dessen Tonsur von krausem
grauen Haar umgeben ist, und dessen rasierter
Vollbart dem ganzen Untergesicht einen weifsen
Schimmer verleiht. Das scharfe Profil zeigt
eine ziemlich zurücktretende lange Stirn, einen
tiefen Einschnitt über der Nase mit Höcker,
eine lange Oberlippe und einen geöffneten
Mund. An der Schläfe neben dem kleinen
hellgrauen Auge, das dicht unter den Brauen
liegt, schimmern die blauen Adern durch die
helle Hautfarbe hindurch. Schon seine ge-
trennte Stellung legt es nahe, in ihm den
Stifter des Bildes zu sehen; die Annahme wird
aber dadurch noch berechtigter, dafs wir hinten
auf dem Clipeus seines Mantels an deutlich
demonstrativem Platze das Wappen einer
Lübecker Familie angebracht finden. Es ist
das Wappen der Familie Greverade: auf
schwarzem Grund eine halbweifse, halbrothe fünf-
blättrige Rose und darüber zwei grüne Kränze
mit entsprechend fünf weifsen und fünf rothen
Blüten, das Wappen also derselben Familie,
welcher auch die Stiftung des grofsen Memling-
schen Kreuzigungsaltares im Lübecker Dom
zugeschrieben wird. Dasselbe Wappen findet
sich viel versteckter noch wiederholt am Rücken-
theil der päpstlichen Kasel und aufserdem drei-
mal am Schutzdach des Bildes. 4)

Von Geistlichen der Familie Greverade gegen
die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts —
denn um diese Zeit mufs das Bild dem Stil
nach entstanden sein — ist aber nur einer
bekannt, nämlich Adolf Greverade. Er war
Presbyter in Löwen, bekam 1497 das Kano-
nikat beim Lübecker Domkapitel und starb
1501 in Löwen.6) 1494 stiftete er mit seinem

) Dafs das Wappen der Greverade hier ange-
bracht sei, bemerkt schon 1729 v. Melle in seiner
Lubeca Religiosa, Ms. im Lübecker Staatsarchiv,
S. 192.

6) Vergleiche G. W. Dittmer: Die Liibeckische
Familie Greverade und Warneböke im 16. Jahrhundert.
Lübeck 1859, S. 8. — Herr Staatsarchivar Professor
Hasse in Lübeck machte mich noch auf das im Ar-
chiv befindliche Testament des Adolf Greverade von
 
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