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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Semper, Hans: Ueber rheinische Elfenbein- und Beinarbeiten des XI. und XII. Jahrh., [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0161

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267

189«;. - ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 9.

2B8

hier tragen die Pilaster, welche die kurzen
Figuren an den Seiten trennen — und in
ihrer Form ganz mit denen am Kästchen im
Louvre (n. 36) und am zweiten Geschofs des
grofsen Reliquiars in Darmstadt übereinstimmen
— keine Arkaden, sondern nur einen horizon-
talen Fries, mit den verstümmelten lateinischen
Namen der Heiligen darauf. Am Deckel da-
gegen sind sieben langgestreckte Figuren
zwischen Arkaden angebracht, wie am Unter-
geschofs des Dannstädter Reliquiars. Das Käst-
chen ist an den Ecken mit breiten Ornament-
bändern eingefafst, welche Palmetten zwischen
Zickzackleisten zeigen. Dasselbe Ornament
findet sich am Sockel des grofsen Reliquiars
in Darmstadt, kommt übrigens ähnlich auch an
lombardischen Steinskulpturen des XII. Jahrh.
vor,8) ohne dafs jedoch hieraus weitere Schlüsse
gezogen werden sollen, da, wie Cattaneo hinzu-
fügt, dieses Ornament besonders auf Gläsern
und Fresken nach dem Jahre 1Ü00 häufiger zu
finden ist.

An einem Frontale im Schatz der Stifts-
kirche von Fritzlar, mit theils gestanzter,
theils emaillirter Einfassungsborde und getriebe-
nen Reliefs der vier Evangelistensymbole und
Christi zwischen zwei Engeln aus spätromanischer
Zeit, sehen wir am unterenTheile einen Einsatz
von zwölfApostelfiguren zwischen Ar-
kaden, aus Knochen, welcher ebenfalls, auch
bezüglich des Sockels mit Palmetten zwischen

schmalen Arkaden übermäfsig gestreckt sind, haben
sie am zweiten Geschofs, den Arkadenhöhen ent-
sprechend, eine ziemlich normale Länge, wogegen am
dritten Geschofs dieselben wegen der Niedrigkeit der-
selben wieder übermäfsig kurz sind. Im nämlichen
Sinne macht sich der Einflufs der Architektur auf die
Skulptur in den langgestreckten französischen Portal-
figuren des XII. Jahrh. zu Corbeil, Chartre, Bourges
etc. geltend. — Das Gleiche gilt auch für Fig. 2 u. 3.

■*) Siehe Cattaneo »L'architettura in Italia dal
•ecolo VI fino al Mille circa (Venezia 1888) p. 112
und 118. — Dasselbe scheint aus der Spiralranke mit
Blattwerk entstanden zu sein, wie der Fries an der
angeblich longobardischen Elfenbeinpyxis im Ger-
manischen Museum erkennen läfst (»Mittheilungen aus
dem Germanischen Museum« 18!)5, Taf. II).

Letztere zeigt auch in den Pilasterbildungen und
dem Stil der Figuren einige Analogie mit der oben
besprochenen Gruppe, der gegenüber sie jedoch noch
primitiver und alterthllmlicher erscheint. Fig. 2 u. 8
entnehmen wir, mit gütiger Erlaubnifs der Redaktion,
unserm Aufsatze in »Archaeologiai Ertesitö« über die
ältesten Beinarbeiten im Fester Museum, wo alle Seiten
des betreffenden Relii|uiars abgebildet sind.

Zickzackstreifen, sich stilistisch den vorerwähnten
Arbeiten durchaus anschliefst. Noch älter, wahr-
scheinlich fränkisch, ist dagegen der oberste Auf-
satz (Fig. 4). (G. Mittheilung der Redaktion.)

Endlich hat auch Rigollot in seiner »Histoire
des arts du dessin« (Paris 1864) auf PI. 48 fünf
sehr charakteristisch wiedergegebene Figuren
eines solchen Reliquiars veröffentlicht, welche
aus der Sammlung Micheli stammen. Rigollot
bespricht dieselben im 2. Band seines Textes
(p.95) und vermuthet, dafs sie Nachahmungen
nach Statuen irgend eines Monumentes
des XI. Jahrh. seien (Fig. 5).

Anknüpfend an diese Vermuthttng Rigollot's
wollen wir hier nun auch die übrigen ver-
schiedenen Ansichten der Kunstforscher und zu-
letzt auch diejenige E. Molinier's über die Zeit
und Herkunft dieser Art von Kunstwerken an-
führen. Da die bisher erwähnten Beispiele
durchaus einheitlicher Art sind, so dürfen auch
Urtheile, welche speziell über das eine oder
andere derselben geätifsert wurden, ohneWeiteres
auf alle bezogen werden.

Wir schliefsen uns in diesen Citaten zum
Theil an Molinier's Ausführung an. Labarte
betrachtet die beiden, im Katalog Molinier's
unter n. 35 und 36 angeführten Kästen, sowie
denjenigen von S. Ived, als den „Ausdruck
einer neuen Kunst, welche im Abendland gegen
Ende des X. oder im Anfang des XI. Jahrh.
auftrat".0)

Sauvageot und Laborde schrieben einzelne
dieser Arbeiten dem XI. Jahrh., Sauzay dem

XI. oder XII. zu.10) Du Sommerard bezeichnet
in seinem Katalog des Muse'e Cluny (Paris 1884)
die Truhe von S. Ived (n. 1052) als fran-
zösische Arbeit des XII. Jahrh. In der
»Beschreibung der Bildwerke der christlichen
Epochen« der königl. Museen zu Berlin von
W. Bode und H. v. Tschudi (1888) wird das
hier einschlägige Kästchen unter n. 466 als
deutsch-rheinische Arbeit des XL Jahrh.
bezeichnet. Schaefer11) hält die beiden Turris-
reliquiarien im Museum von Darmstadt für
rheinische Arbeiten vom Ende des

XII. Jahrh. (?). Auch auf der Lichtdrucktafel

'■') Labarte »Histoire des arts industriels« 2. Ed.,
p. 84.

10) Nähere Citate siehe bei Molinier p. 88.

") »Die Denkmäler der Elfenbeinplastik des grofs.
herzoglichen Museums zu Darmstadt etc.« (Darmstadt
187'2) p. 61.
 
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