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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Schnütgen, Alexander: Spätgothische deutsche Leinenstickerei mit der Jagd des Einhorns
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0173

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Abhandlungen.

Spätgothische deutsche Leinen-
stickerei mit der Jagd des Einhorns.

Mit Lichtdruck (Tafel IX).

it den Erfolgen, welche in
den beiden letzten Jahr-
zehnten auf dem Gebiete
der Leinenstickerei gewon-
nen sind, kann man wohl
zufrieden sein. Da die älte-
ren deutschen Arbeiten an
Strenge der Zeichnung und
Einfachheit der Technik den ausländischen über-
legen sind, so wird sich stets auf's Dankbarste
die Aufgabe bewähren, alten Vorlagen deutschen
Ursprungs nachzuspüren, namentlich in den
Originalstickereien, von denen sich aus dem
XIV., XV. und XVI. Jahrh. farbige Exemplare,
zumal rein ornamentaler Art, nicht gerade
zahlreich erhalten haben. — Als eines der
reichsten und schönsten erscheint der 68 cm
hohe, 84 cm breite Kissenüberzug, welcher
sich in der grofsen und auserlesenen Samm-
lung des Herrn Bürgermeisters Thewalt zu
Köln befindet. Ganz feines weifses Leinen
bildet den Grundstoff und mit verschieden-
farbigen Seidenfäden ist überaus fein und sauber,
zumeist in dem echt deutschen Kreuzstich, die
Zeichnung ausgeführt, welche in geometrischen
und vegetabilischen Musterungen, Inschriften und
Figuren besteht. — Eine breite, schwarzbraun
ausgestickte Rauten- und Rosettenborte ist als
Rand aufgenäht und neben derselben läuft
oben wie unten ein aus rothen und braunen
Minuskelwörtern, welche je durch ein grünes
Blattpaar geschieden sind, zusammengesetztes
Band mit der Legende: Omnia —pretereunt —
prelcr — amare — deum und Ich — habs —
gesialt — In — gottes — gcwalt. Zwischen
diesen beiden Bändern entfaltet sich, 63 cm
breit, 38 cm hoch, das durch Gefälligkeit der
Zeichnung, Feinheit der Ausführung, Harmonie
der Farben, sowie durch den Reichthum der
merkwürdigen Darstellung geradezu bestechende
Mittelbild, von dem der hier beigefügte Licht-
druck eine ganz klare Vorstellung gibt.

Den Mittelpunkt und Hauptinhalt der Szene
bildet die Verkündigung; der Engel mit dem
Jagdhorn in den Händen begrüfst stehend die
stehende Jungfrau und oben bestätigt Gott der
Vater als Brustbild durch das Majuskelspruch-
band: TOTA PVLCRA u. s. w. das hehre'
Geheimnifs, dessen Erklärer in der Mitte das
springende Einhorn, verfolgt von den beiden
Jägerinnen, welche die drei Hündchen Fides,
Spes und Caritas an der Leine führen. Rings-
um beleben die Szene in erschöpfender Voll-
ständigkeit fünfzehn durch Beischriften erklärte
Sinnbilder der Jungfräulichkeit. Aufserdem sind
zahlreicheThierchen eingestreut, symbolische wie
Taube, Pelikan, Adler, Panther, und andere.
Mannigfache Blumen und Zweige füllen die
Lücken aus und ein dreiästiger Baum be-
herrscht die Mitte. Ein geflochtenes Gehege
mit aufschiefsenden Nelken bildet die untere
Umzäunung, und die Ranke, die beiderseits aus
ihr sich hinaufwindet, setzt sich oben als rings-
umwundener Querstab fort. Ein fein stilisirtes
Zickzackbörtchen bildet den unteren, ein nocli
zarter durchgeführtes den oberen Abschlufs,
und streng geometrisch sind die noch schmale-
ren Friese gehalten, welche die Seiten be-
säumen. — Die in Seide ausgeführten Par-
thieen sind zumeist durch den Kreuzstich ge-
wonnen, der bei der Feinheit des Leinens eine
besondere Virtuosität verlangte, nur wenige durch
Stepp- oder Stilstich, besonders die nicht dem
Faden folgenden, und durch Plattstich nur einige
Blümchen. Die Goldstickerei, welche die Heiligen-
scheine, Attribute, Flügel, Gehege und die Ein-
fassungen der Spruchbänder bewirkt, sowie einige
Gewanddessins, ist im Kettenstich tambourirt
und wirkt dadurch um so kräftiger. Als Farben
kommen Rothbraun, Weinroth, Lichtblau, Pista-
ziengrün und Goldgelb vor, und der starken
Betonung der Konturen ist die bestimmte Wir-
kung der Figuren vornehmlich zu danken. Ob-
wohl einige Schreibweisen wie ortus statt hortvs
auf Italien deuten, ist, auch abgesehen von der
deutschen Unterschrift, an dem deutschen Ur-
sprung nicht zu zweifeln, aus stilistischen
Gründen der rheinische wahrscheinlich, aber
nicht vor der Mitte des XV. Jahrh. Schnutgen.
 
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