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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Braun, Joseph: Alte Passions- und Glorifikationstafeln in der St. Mathiaskirche bei Trier
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0194

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1896. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

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bekannt, jedoch lassen sich vielleicht begrün-
dete Vermuthungen darüber aufstellen, welchem
Zweck die zehn Reliefbilder ursprünglich ge-
dient haben mögen. Denn dafs sie von vorn-
herein nicht bestimmt waren, die Chorwände
der St. Mathiaskirche zu schmücken, bedarf
wohl keines Beweises. Wie uns aber scheinen
will, haben wir in jenem Bildwerk Reste eines
alten, grofsartigen Altarwerkes vor uns. Passions-
bilder in der Gröise und Folge, wie sie in ihm
uns entgegentreten, hat man zur Zeit der Ent-
stehung der Tafeln kaum anders, als zur Her-
stellung von Passionsaltären verwendet. Einem
solchen werden also die zehn Reliefbilder einst
angehört haben. In der That besafs die St. Ma-
thiaskirche ehedem einen mächtigen Flügelaltar;
derselbe mufste jedoch im vorigen Jahrhundert
dem jetzigen St. Mathiasaltar weichen. Die Er-
innerung an den alten Schrein ist aber noch
nicht völlig ausgestorben. Jüngst theilte näm-
lich ein fast CO Jahre altes Mitglied des Kirchen-
vorstandes dem zeitigen Pfarrer von St. Mathias
gelegentlich mit, seine Grofsmutter habe öfters
von einem Altare gesprochen, der früher an
der Stelle des jetzigen Mathiasaltars gestanden.
Sie habe es bedauert, dafs man ihn entfernt
und durch den jetzigen ersetzt habe. Der vorige
Altar habe Thüren gehabt, und wenn man ihn
geöffnet, so sei es gewesen, wie wenn man ein
Scheunenthor aufmache. Wir werden wohl nicht
fehlgehen, wenn wir die zehn Tafeln als Reste
dieses grofsen Flügelaltars bezeichnen. Dem-
nach hätte also St. Mathias einst einen herr-
lichen Passionsschrein besessen. Einen solchen
für ihre Kirche zu beschaffen, lag übrigens für
die Benediktiner von St. Mathias darum sehr
nahe, weil sie ja seit dem Beginn des XIII.
Jahrh. im Besitz der grofsen Kreuzpartikel waren.
Vielleicht sogar, dafs das herrliche Reliquiar
mit seinem noch werthvolleren Inhalt einst in
einer Abtheilung jenes Schreines aufbewahrt
und zur Verehrung ausgesetzt wurde. Welche
Stellung nahmen aber die Tafeln bei jenem
Passionsaltare ein? Für die Anordnung der mittel-
alterlichen Passionsschreine gibt es keine all-
gemeine und durchgreifende Norm. Gewöhnlich
besteht der Mitteltheil aus mehreren getrennten
Gruppen, deren Centrum die Kreuzigung bildet.
Doch finden sich auch Altäre, deren Mittelstück
nichts ist, als eine einzige Relieftafel mit der
Kreuzigung als Mittelpunkt (Stralsund, Calcar).
Enthalten bei den Passionsschreinen auch die

Flügel Szenen aus dem Leiden des Herrn — es
ist das nicht immer der Fall, besonders nicht,
wenn die Flügel Malereien aufweisen, — so be-
ginnt die Reihenfolge der Darstellungen in der
Regel oben links vom Beschauer aus und
zieht sich, in einer oder in zwei, seltener in
mehreren Reihen die Leidensgeheimnisse be-
handelnd, zur Kreuzigungsgruppe in der Mitte
des Schreines hin. Die Darstellung der Geheim-
nisse, welche dem Erlösungstode folgen, beginnt
dann oben rechts bei der Kreuzigungsgruppe
im Mittelschrein und verläuft in der Richtung
der geöffneten Thüre. Bei flämischen, aber auch
bei andern Passionsaltären sind der Mittelschrein
und demgemäfs auch die Flügel häufig überhöht.

Vergleichen wir aber die Trierer Tafeln mit
dem Bildercyklus, wie wir ihn gewöhnlich bei
den Passionsaltären antreffen, so vermissen wir
aufser den Abendmahlszenen — Fufswaschung
und Einsetzung der hl. Eucharistie — vor Allem
die Darstellung der Kreuzigung und der sie
unmittelbar vorher oder nachher umspielenden
Geheimnisse — Kreuztragung, Begegnung mit
Veronika, Annagelung, Abnahme, Jesus auf dem
Schofse Maria's, Begräbnifs. — Weiterhin fehlen
unter den Szenen, welche das glorreiche Leben
des Auferstandenen schildern, besonders die Be-
gegnung des Heilandes mit Magdalena und
Thomas.

Da also für die innere Anordnung der alten
Passionsaltäre eine allgemein geltende Regel
nicht bestand, und weiterhin auch der Inhalt
der Tafeln einen sichern Schlufs auf die Ver-
theilung der Gruppen in dem Altar, dem sie
einst angehörten, nicht gesattet, so ist es selbst-
redend nicht möglich, mit Bestimmtheit die
Stellung zu bezeichnen, welche die Reliefbilder
einst in ihrem Schrein eingenommen haben.
Doch läfst sich auf Grund der im ausgehenden
Mittelalter bezüglich der Gestaltung der Pas-
sionsältäre vorherrschenden Gepflogenheit sowie
des Inhaltes der Tafeln der innere Aufbau des
alten Altars mit Wahrscheinlichkeit dahin be-
stimmen, dafs der überhöhte Mittelschrein aus
zwei gröfseren übereinanderstehenden mittleren
Tafeln (etwa der Kreuztragung und Kreuzigung)
und aus je zwei seitlichen kleineren (nämlich
Oelberg und Verurtheilung, Kreuzabnahme und
Auferstehung) bestand. Der Grund für eine
Ueberhöhung liegt in dem bereits erwähnten
Gröfsenunterschied der Tafeln, wonach zwei
kleiner als die acht übrigen sind. Die Ver-
 
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