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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Falke, Otto von: Ein Wandteppich des XVI. Jahrh. in der St. Maria Lyskirchen zu Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0209

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1896. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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auch der ganze Stand der flandrischen Teppich-
wirkerei im Anfang des XVI. Jahrh. mit Wahr-
scheinlichkeit auf den Hauptsitz dieser Kunst,
auf Brüssel. Dafs die bekannte Signatur der
Brüsseler Ateliers, das doppelte B, fehlt, ist
nicht auffällig, da sie erst im Jahre 1528 ein-
geführt worden ist.

Der Vorort der Wirkerei des späten Mittel-
alters, Arras, hatte seit seiner Eroberung und
Verwüstung durch die Franzosen in den Jahren
1477 und 1479 jede Bedeutung eingebüfst und
die Führung in dieser Kunst war unbestritten
an Brüssel übergegangen, das sie ein Jahrhundert
hindurch zu wahren wufste. Die höchste,
namentlich kommerzielle Blüthe der Brüsseler
Wirkereiindustrie fällt in die erste Hälfte des
XVI. Jahrh. In dieser Zeit vollzog sich jener
folgenschwere Umschwung des Geschmackes,
der mit den gerade für die Gobelins so ge-
eigneten Traditionen des Mittelalters brach und
sie durch die strengere, akademische Kom-
positionskunst und die veränderte Farben-
zusammenstellung der italienischen Renaissance
ersetzte. Den äufseren Anstofs zu diesem, in
der allgemeinen Kunstentwickelung ja schon
angebahnten Wechsel gab in der Brüsseler
Wirkerei die Ausführung der zehn Wand-
teppiche mit den Thaten der Apostel nach
den Kartons der Schule Raphaels für die
Capella Sixtina im Vatikan. Bei dem damals
bereits gesicherten Weltruf der Brüsseler In-
dustrie war es nicht verwunderlich, dafs Papst
Leo X. die Ausführung der Kartons einem
dortigen Atelier, dem des Hoftapissiers Philipps
des Schönen und später Karls V., Pieter van
Aelst, übertrug. Das Resultat rechtfertigte sein
Vertrauen im vollsten Maafse; die Arbeit wurde
in den Jahren 1515 bis 1519 vollendet und
die Gobelins erregten bei ihrer ersten Aus-
stellung in Rom die allgemeinste und unein-
geschränkteste Bewunderung, nicht zum wenig-
sten durch die hohe technische Meisterschaft, mit
welcher alle Einzelheiten und Feinheiten der
Vorlage wiedergegeben waren. Die Folge da-
von war, dafs von nun an Alles dem Beispiel
Leos X. sich anschlofs und dafs nun die Ver-
bindung von italienischer Vorlage und Brüsseler
Ausführung für alle anspruchsvolleren Arbeiten
der Wirkerei die Regel wurde.

Zweifellos war mit der Herrschaft des
italienischen Stils ein nicht unbeträchtlicher
Fortschritt verbunden. Er kam nicht nur in

der richtigeren Zeichnung, in dem edleren Stil
der Figuren zur Geltung, sondern er äufserte
sich namentlich in der bedeutenden Bereiche-
rung des für die Bordüren verwendbaren Orna-
mentenschatzes, den die Grotesken der römi-
schen Schule mit sich brachten.

Im Ganzen aber ist der Uebergang zum
italienischen Geschmack gerade für die flan-
drische Gobelinwirkerei doch ein zweifelhaftes
Glück gewesen. Von schädlicher Wirkung war
schon der Ausfall des unmittelbaren Zusammen-
arbeitens von Kartonzeichner und Tapissier.
Dann haben die Künstler aus der Schule
Raphaels und Giulio Romanos die Gobelins
mehr als Wandgemälde betrachtet und dabei
übersehen, dafs es sich um einen beweglichen,
dem Falten und Raffen ausgesetzten Wand-
behang handelte. Dem dekorativen Gebrauchs-
zweck der Gobelins wurden die Kartons des
späten Mittelalters mit ihren dicht gedrängten,
mit schmückenden Einzelheiten überhäuften
Kompositionen viel besser gerecht, als die Ent-
würfe der Italiener mit wenigen, wenn auch
edel und vornehm gezeichneten und stilgerecht
komponirten Figuren und den grofsen, ein-
farbigen Flächen. Ganz besonders litt unter
der italienischen Richtung die Farbe der Wirk-
teppiche, obgleich die flandrischen Tapissiers
sich ihren Kaitons gegenüber in dieser Hin-
sicht einige Freiheit der Bewegung bewahrten.
Es war ein unglücklicher Zufall, dafs gerade
die römische Schule, deren Stärke nicht in der
Farbe, sondern ganz vorwiegend in der Zeich-
nung lag, die Herstellung von Gobelinkartons
in erster Linie an sich zog.

In eben dieser Zeit des Umschwunges, im
zweiten oder dritten Jahrzehnt des XVI. Jahrh.,
ist der Kölner Gobelin entstanden. Er gewinnt
dadurch ein besonderes Interesse, dafs er,
nicht ganz unberührt vom italienischen Ein-
flufs, doch die wesentlichen Vorzüge der natio-
nalen Ueberlieferung bewahrt hat. Obwohl das
Motiv der Borte altniederländisch ist, kann
man doch die Einwirkung Italiens erkennen in
der geschickten und geschmackvollen Gruppi-
rung der Blüthen und Früchte, die eher an die
Umrahmungen der Robbiawerke, als an die
wiesenartige Gestaltung dieses Motivs in den
flandrischen Gobelins des XV. Jahrh. erinnert.
Ferner mag wohl die vortrefflich gelungene
perspektivische Vertiefung des landschaftlichen
Hintergrundes derSchulungdurch dieitalienische


 
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