2 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 1/2
bekannten Großplastik des Mittelalters steht ganz allein da die auf dem Tetra-
morph reitende Ecclesia, die den Giebel des Portalaufbaus krönt. Auch sind in
Worms die alt- und neutestamenthchen Vorgänge in der typologischen Weise der
Zeit unmittelbar aufeinander bezogen. Bei allen gebotenen Kürzungen ist die
Anordnung sichtlich überlegt.
Das vornehmste Einzelwerk des Portalaufbaus ist die auf dem Triumphpferd
reitende Ecclesia2, wohl auch vom Archivoltenmeister geschaffen, die einzige
monumentale Verwirklichung dieser aus dem syrischen Kunstvorrat stammenden
Idee. Zur Verlebendigung dieser Idee haben sicher die Aufzüge des geistlichen
Schauspiels, in dem die beiden Vertreterinnen der alt- und neutestamenthchen
Kirche einander entgegentraten und entgegenritten, wesentlich beigetragen. Nicht
unwahrscheinlich ist die Vermutung, daß die Anbringung einer Reiterfigur an
unserer Stelle durch die (zerstörten) Reiterstatuen unter der Straßburger Rose
angeregt worden ist3. Nur ist hinzuzufügen, daß man überhaupt an die im XIII.
Jahrh. aufgekommene Vorliebe für Reiterfiguren zu denken hat. Der Bamberger
Reiter hat für die deutsche Plastik den Anstoß gegeben4. Man hat es auch für
möglich erklärt, daß dem Dichter des jüngeren Titurel, wie er seinen Helden von
der Überwindung des Alten durch das Neue Testament reden läßt, jenes Wormser
Bildwerk vorgeschwebt habe6:
Ecclesia, di so schon ist varende üf einem pferde veste, daz si vor
strüchen immer ist bewarnde.
Ein mensch, ein kalbes bilde, ein lewe, ein adeläre, vil zam und niender
wilde, tragent si Ecclesiam sunder vare,
da si den ursprink vaehet aller brunnen,
den uns gebar diu cläre, di da stet becleidet mit der sunnen6.
Allein wenn überhaupt ein Zusammenhang zwischen dem jüngeren Titurel und
unserer Wormser Skulptur besteht — es wäre dies dann innerhalb der Kom-
positionen unserer Wormser Portalplastik ein weiteres Beispiel für eine literarische
Vorlage — so müßte der Einfluß in umgekehrter Richtung stattgefunden haben,
wenn anders die neuere Datierung des jüngeren Titurel auf 1270 zu Recht besteht.
Für eine frühere Datierung spricht gerade der Phantasiebau des Graltempels,
dessen Beschreibung nicht in die Zeit der Hochgotik, sondern der Frühgotik
weist7 und dessen möglichen Vorbildern man neben St. Gereon in Köln und der
Liebfrauenkirche in Trier auch die verschwundene Johanneskirche in Worms an-
reihen mag. Namentlich die programmatische Stelle:
Ob si da haeten grüfte? nein, herre got enwelle,
daz under erden slüfte reine diet sich immer valsch geselle,
als etwenne in grüften wirt gesammet!
man sol an lichter wite kristen glouben künden und Kristes ammet8,
- Der Literatur bei Schmitt ist hinzuzufügen W. N e u ß , Das Buch Ezechiel in Theologie
und Kunst. Münster i. W. Aschendorff 1912.
3 Schmitt a. a. O. S. 132.
4 Über franz. Vorbilder vgl.Weese, Die Bamberger Domskulpturen, 2. Aufl., 1914, S. 251.
5 E. Kranzbühler, Verschwundene Wormser Bauten. Worms 1905, S. 48 f.
8 F. Zarncke, Der Graltempel. Leipzig 1876, S. 533.
7 B. Röthlisberger, Die Architektur des Gralstempels im jüngeren Titurel. Bern 1917.
" Zarncke a.a.O. S. 461.
bekannten Großplastik des Mittelalters steht ganz allein da die auf dem Tetra-
morph reitende Ecclesia, die den Giebel des Portalaufbaus krönt. Auch sind in
Worms die alt- und neutestamenthchen Vorgänge in der typologischen Weise der
Zeit unmittelbar aufeinander bezogen. Bei allen gebotenen Kürzungen ist die
Anordnung sichtlich überlegt.
Das vornehmste Einzelwerk des Portalaufbaus ist die auf dem Triumphpferd
reitende Ecclesia2, wohl auch vom Archivoltenmeister geschaffen, die einzige
monumentale Verwirklichung dieser aus dem syrischen Kunstvorrat stammenden
Idee. Zur Verlebendigung dieser Idee haben sicher die Aufzüge des geistlichen
Schauspiels, in dem die beiden Vertreterinnen der alt- und neutestamenthchen
Kirche einander entgegentraten und entgegenritten, wesentlich beigetragen. Nicht
unwahrscheinlich ist die Vermutung, daß die Anbringung einer Reiterfigur an
unserer Stelle durch die (zerstörten) Reiterstatuen unter der Straßburger Rose
angeregt worden ist3. Nur ist hinzuzufügen, daß man überhaupt an die im XIII.
Jahrh. aufgekommene Vorliebe für Reiterfiguren zu denken hat. Der Bamberger
Reiter hat für die deutsche Plastik den Anstoß gegeben4. Man hat es auch für
möglich erklärt, daß dem Dichter des jüngeren Titurel, wie er seinen Helden von
der Überwindung des Alten durch das Neue Testament reden läßt, jenes Wormser
Bildwerk vorgeschwebt habe6:
Ecclesia, di so schon ist varende üf einem pferde veste, daz si vor
strüchen immer ist bewarnde.
Ein mensch, ein kalbes bilde, ein lewe, ein adeläre, vil zam und niender
wilde, tragent si Ecclesiam sunder vare,
da si den ursprink vaehet aller brunnen,
den uns gebar diu cläre, di da stet becleidet mit der sunnen6.
Allein wenn überhaupt ein Zusammenhang zwischen dem jüngeren Titurel und
unserer Wormser Skulptur besteht — es wäre dies dann innerhalb der Kom-
positionen unserer Wormser Portalplastik ein weiteres Beispiel für eine literarische
Vorlage — so müßte der Einfluß in umgekehrter Richtung stattgefunden haben,
wenn anders die neuere Datierung des jüngeren Titurel auf 1270 zu Recht besteht.
Für eine frühere Datierung spricht gerade der Phantasiebau des Graltempels,
dessen Beschreibung nicht in die Zeit der Hochgotik, sondern der Frühgotik
weist7 und dessen möglichen Vorbildern man neben St. Gereon in Köln und der
Liebfrauenkirche in Trier auch die verschwundene Johanneskirche in Worms an-
reihen mag. Namentlich die programmatische Stelle:
Ob si da haeten grüfte? nein, herre got enwelle,
daz under erden slüfte reine diet sich immer valsch geselle,
als etwenne in grüften wirt gesammet!
man sol an lichter wite kristen glouben künden und Kristes ammet8,
- Der Literatur bei Schmitt ist hinzuzufügen W. N e u ß , Das Buch Ezechiel in Theologie
und Kunst. Münster i. W. Aschendorff 1912.
3 Schmitt a. a. O. S. 132.
4 Über franz. Vorbilder vgl.Weese, Die Bamberger Domskulpturen, 2. Aufl., 1914, S. 251.
5 E. Kranzbühler, Verschwundene Wormser Bauten. Worms 1905, S. 48 f.
8 F. Zarncke, Der Graltempel. Leipzig 1876, S. 533.
7 B. Röthlisberger, Die Architektur des Gralstempels im jüngeren Titurel. Bern 1917.
" Zarncke a.a.O. S. 461.