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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Witte, Fritz: Mystik und Kreuzesbild um 1300
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Beitz, Egid: Grünewalds Golgatha
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0137

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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 9/10

wie vielleicht irgendeine andere des Mittelalters. Wir haben allen Grund,
die beiden Jahrzehnte um die Wende des XIII. Jahrh. als Entstehungszeit
all' dieser Kreuze anzunehmen.

Eine Frage steht für die Beantwortung noch aus: Ist es eine weit ver-
breitete religiöse Auffassung, die ziemlich gleichzeitig zu dieser neuen Ge-
staltung des Heilandsbildes drängte, oder haben wir den Ausgangspunkt an
einem Orte, vielleicht an einer Wallfahrtsstätte zu suchen ? Diese letztere
Vermutung legt sich gewiß nahe, wenn wir die Beispiele von Andernach
und Köln ins Auge fassen. Für die dem Norden angehörenden Stücke
aber ist an diese Antwort kaum zu denken angesichts der nicht unwesent-
lichen Abweichungen der Kreuze untereinander. Bezeichnend genug ist
es, daß an fast alle angezogenen Beispiele eine alte Legende anknüpft und
gleichzeitig auch der Vorzug der Wunderkraft schon frühzeitig behauptet
wird, so bei den Kruzifixen zu Lage, das von den Bauersleuten noch
heute am Flaschenzug von der Wand niedergeholt und dann unter Gebet
sechsmal um die Kirche geschleppt wird, sobald ein Kranker der Gemeinde
im Todeskampf liegt, und zu Coesfeld, zu dem noch heute gewallfahrtet wird,
bei denen zu Haltern, zu Andernach usw. Das Andernacher Kreuz, im Realis-
mus wohl das rücksichtsloseste und stärkste, führt im Volksmunde den
merkwürdigen Namen „Ungarnkreuz". Möglich, daß Terwelps Ansicht die
richtige ist, daß dieses Kreuz einmal von den vom XIV. bis XVIII. Jahrh.
öfters Andernach passierenden aus dem Osten kommenden Pilgerscharen
an die Kirche in Andernach gestiftet wurde11. Fremdländisch genug klingen
die beiden Kruzifixe von Köln und Andernach, und es liegt nahe, an den
Süden oder an slavisch beeinflußte Länder als Ursprungsland zu denken.

Das jedenfalls dokumentieren diese Bilder: Die Freiheit der Auffassung
bei den Künstlern des ausgehenden XIII. Jahrh. und das aus persönlicher
Ergriffenheit arbeitende Künstlertemperament, das allen auf religiösem Ge-
biete schaffenden Künstlern von heute Vorbild und Ansporn sein sollte.

Witte.

GRÜNEWALDS GOLGATHA.

(Mit 5 Abbildungen.)

Der gewaltige Torso, der von Grünewalds Schaffen auf uns gekommen ist,
erzählt so viel von Schmerz und Weh, daß man den Meister den Roman-
tiker des Schmerzes nennen konnte. Bis zum Schmerz gesteigerter, un-
erbittlicher Ernst war offenbar der Grundzug Grünewaldschen Wesens. Selbst
wenn wir nicht wüßten, daß er ein einsames und melancholisches Leben geführt
hat, würden wir es aus seinen Schöpfungen schließen müssen. Und wären diese
in größerer Vollständigkeit auf uns gekommen, das tiefernste Bild, das wir uns von
Grünewalds Seele machen, würde wohl kaum wesentlich erheiternde Lichter be-
kommen haben. Ja, man kann sagen, wäre Grünewalds Genius nicht so unab-
weisbar auf das Herbe und Wehe eingestellt gewesen, es wären wahrscheinlich

11 Terwelp im „Niederrhein. Geschichtsfreund", 1884, S. 166. S. Lehfeldt, „Die
Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Koblenz", Düsseldorf 1886, S. 360, der
das Kreuz in die zweite Hälfte des XIV. Jahrh. setzt.
 
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