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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Witte, Fritz: Mystik und Kreuzesbild um 1300
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0136

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Nr. 9/10

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

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haares, alles das redet eine zu deutliche Sprache, als daß wir die Ent-
stehungszeit über das Jahr 1300 hinausschieben dürften. Das Coesfelder
Kreuz wird schlanker, schmaler, die Bewegung in der Achse des Körpers ist
deutlich. Dagegen behält das Lendentuch Eigenarten einer früheren Zeit
bei; das Barthaar mit seinen knopfartigen Endigungen erinnert an romanische
Bronzen. Auch dieses Stück ist kaum nach 1300 anzusetzen, wenngleich
der Konservatismus der Westfalen gerade in jener Zeit in Anschlag zu
bringen ist. Daneben ist das
Kreuz in Haltern zu stellen.
Die letzten Konsequenzen der
religiösen Voraussetzungen für
die ganze Gruppe ziehen die
Bilder von Köln und Ander-
nach. Neben die Miniaturen
und nichtrheinische Plastiken
um 1 300 gehalten, erscheinen
sie nicht einmal als Fremd-
körper in der Entwicklung auch
stilistischer Eigenarten der
Heimatkunst. Nirgendwo viel-
leicht ist die Kunst so zum
Schema geworden, als gerade
bei den Kölner bzw. rheini-
schen Kruzifixen des fortge-
schrittenen XIV. Jahrh. Die
Typisierung wird da zur
langweilenden, nichtssagenden
Wiederholung, wie viele Dut-
zend gut erhaltener Stücke in
Kirchen und Museen erweisen.
Der Gehrdener Gekreuzigte
mit dem spitzgelegten Lenden-
tuche weist auf diese durch das
kleine obenerwähnteKreuzbild
am Kelchfuße in Maria im
Kapitol dargestellte Entwick-
lung hin; er trägt sogar schon

das Charakteristikum dieser Gruppe der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
andeutend an sich: die ungewöhnlich kurz geratenen Unterschenkel. Die
beiden abgebildeten aus der Umgebung von Osnabrück stammenden Kreuze
von Lage und Gehrden erhalten eine gewisse Sicherheit der Datierung durch
ein Kruzifixbildchen unter den köstlichen Miniaturen des sogenannten Gisla
Kodex im Carolinum in Osnabrück selbst, der dem ersten Jahrzehnt des
XIV. Jahrh. angehört. Kurzum, die besprochene, an sich scheinbar so ganz
aus den Auffassungen der Zeit herausfallende Gruppe von Kruzifixen ragt
eben nur über das Übliche ihrer Zeit hinaus, sie findet ihre Erklärung
einzig in der religiösen Kultur ihrer Zeit, die stärker und eigenwilliger war

Abb. 3.

Kruzifix von 1304 <Maria im Kapitol).
 
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