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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Renard, Heinrich: Der Einfluss der wirtschaftlichen Lage auf die christliche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0088

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Nr. 5/6 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. JJ

DER EINFLUSS
DER WIRTSCHAFTLICHEN LAGE
AUF DIE CHRISTLICHE KUNST.

Referent: Erzdiözesanbaumeister Renard (Köln).

Einleitend wies der Berichterstatter auf die Notwendigkeit hin, im neuen
Deutschland alle Erscheinungen der letzten Jahrzehnte zu überprüfen
und besonders die Erscheinungen auf dem Gebiete der christlichen Kunst
zu untersuchen, nachdem schon seit Jahren nicht nur die Jungen, mit Wort und
Urteil so Schnellen, sondern auch gereifte Männer auf gewisse Schwächezustände
aufmerksam gemacht. Die Tagungen für christliche Kunst wollen in offener
Aussprache feststellen, in welchem Maße die Ursache des Tiefstandes in höherer
Gewalt, in Naturnotwendigkeiten zu finden ist, und in welchem Umfang eigene
Schuld und Versäumnisse ihn herbeiführten.

Statistisches Material über die wirtschaftliche Lage auf diesem Gebiete liegt
nicht vor, und wird sich bei der vielfältigen Verästelung auch kaum beschaffen
lassen; man muß daher mit Erfahrungen, Eindrücken und Einzelnachrichten
arbeiten, aus der geschichtlichen Entwicklung, aus Parallelerscheinungen der
alten Zeiten Schlüsse ziehen, will man heute zu einem skizzenhaften Bilde kommen.

Eine flüchtige Wanderung durch die antiken Denkmäler der Kunst lehrt,
daß bei den klassischen Völkern in ihrer Entwicklungszeit die „Kunst" gleich-
bedeutend war mit „Kultkunst". Der Schmuck des Gewandes und Gerätes
will noch nicht als Kunst angesehen werden, der ihn schaffende Mensch betrachtet
sich nicht als Künstler. Erst dann, als der persönliche Besitz zu herrschen be-
ginnt, als Einzelindividuen sich nicht allein durch Führereigenschaften, sondern
auch durch persönliches Vermögen aus der Volksmasse herauszuheben beginnen,
als den Führern göttliche Ehren erwiesen werden, beginnt die Kunst, sich mehr
und mehr auf profanem Gebiet zu betätigen. Gleichzeitig mit dem Einfließen
fremden Reichtums tritt auch der Materialismus als Herrscher auf, nimmt der
Sakralkunst die innerliche Weihe, gibt der Profankunst eine bedeutsame Kunst-
fertigkeit, die sich aufbaut auf lohnenden Gewinn und edle Stoffe. Klugerweise
vergißt man aber auch nicht, dem Tempel herrliche Werke der Kunst zu schenken,
die immer mehr den inneren Gehalt verlieren, bis der Kaiser selbst zum Gott
wird und tempelartige Paläste bewohnt, die Kultkunst jedoch nur mehr Maske ist.
Nach dem Untergang der antiken Welt und während des allmählichen Ab-
sterbens ihrer Nachkömmlinge dienten Jahrhunderte zum Aufbau der christ-
lichen Welt, in der eine bis heute fortdauernde Art Wellenbewegung den Kampf
zwischen den Geboten Christi und den materiellen Ansprüchen der Menschen
darstellt. Höhepunkte sittlicher und religiöser Erneuerung wechseln ab mit
breiten Tälern der Verflachung. Auf jenen sehen wir ergreifende Werke christ-
licher Nächstenliebe, und neben ihnen herrliche, aus tiefster Seele geschöpfte
Werke der Kunst, in der ruhigen Ebene zwischen den Wellenbergen aber
bürgerliches, von Wohlstand getragenes Behagen, hervorgerufen und begleitet
von formal schönen Werken der profanen Kunstbetätigung, neben der allerdings
 
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