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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Günther, D.: Die vier allegorischen Figuren am Südportal des Wormser Doms
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0021

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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 1/2

von St. Gilles ein Engel als Vollzieher des Strafgerichts der Verstockten die Krone
vom Haupt schlägt und die Synagoge selbst zu Boden wirft oder wenn, wie auf
dem Soester Antependium, der Engel sie wenigstens mit dem Stabe vom Kreuze
verjagt42, wenn am Ausgang des Mittelalters auf Bildern des „lebenden Kreuzes"
wie in Bologna oder in einem Münchner Graduale die Linke des Kreuzarmes der
Synagoge das Schwert quer durch das Haupt stößt43, so tut sich eine Atmosphäre
kund, in der die Synagoge von selbst zum Symbol der Idololatne werden mußte.
Und diese Atmosphäre wurde noch weiter erhitzt durch große Bewegungen, die
gegen die Juden gerichtet waren eben in der Zeit, in der ungefähr unsere Statuen
entstanden sind. Das Jahr 1298 sah in Franken eine Judenverfolgung ausbrechen,
die über Nürnberg und Würzburg sich bis nach Österreich erstreckte. Im Jahre
1306 aber verjagte Philipp der Schöne die Juden in Massen aus seinem Lande,
nachdem er sich ihrer Güter bemächtigt hatte. Gewiß kommt in der Gestalt der
Synagoge und ihrem Gegensatz zur Ecclesia nicht eine politische Epoche, nicht
einmal bloß eine Periode der Heilsgeschichte zum Ausdruck, sondern sie wächst
überhaupt zum Prinzip des Gottwiderstandes und zum Symbol der Verwerfung
empor. Unverkennbar aber ist, daß die Judenfeindschaft, die das Mittelalter durch-
zieht, namentlich seit dem XII. Jahrh. unter dem Einfluß des geistlichen Schau-
spiels in die Ikonographie eingedrungen ist. Die Wormser Synagoge als Idololatria
zu erklären, bereitet nach all dem Gesagten keine inhaltliche Schwierigkeit.

Daß aber die Synagoge nur als Idololatria unter diese vier Allegorien auf-
genommen werden konnte, wenn anders die Gruppe einheitlich verstanden
werden darf, wird noch deutlicher, wenn wir auch die noch ausstehende vierte
Figur enträtselt haben. Ist die Synagoge als Idololatria gedacht, so muß diese als
F i d e s zu verstehen sein. Von den älteren Erklärern ist sie als „Wahrer Glaube"
bezeichnet worden, und diese waren damit auf einem richtigeren Weg als die beiden
neuesten Bearbeiter, die mit ihrer Ecclesiahypothese die ikonographische Frage
eher verwirrt als geklärt haben. Nur daß das Mittelalter in solchem Fall schlechthin
von Fides spricht, denn es hebt absolute, nicht relative Gegensätze. Die Figur,
um die es sich handelt, steht über der Frau Welt. Auch sie hat langwallendes
Haar und trägt eine Krone. Da die Statue der Verwitterung besonders ausgesetzt
war, erklärt es sich, daß sie sämtliche Attribute verloren hat. Doch bezeugt
Wicel, — und dieses Zeugnis ist heute das Wertvollste an seiner Schrift —, daß
sie ein Buch und einen Pfeil in Händen gehabt habe. Statt des Buches hält Schmitt
auch einen Kelch für möglich; das gefiederte Ende des Pfeils und dessen Richtung
hat er noch feststellen können. Das Buch —die Heilige Schrift —oder der Kelch
weisen beide auf Fides. Das Attribut des Pfeils ist in unserem Falle singulär, doch
wechseln die Attribute der Tugenden lange Zeit im Mittelalter hindurch44 und im
XIII. Jahrh. ist ihre Ausbildung noch im Fluß, so daß diese Beigabe an sich nicht
auffallen kann. Die Stelle Is. 49, 2.: posuit me sicut sagittam electam kann die
Wahl verständlich machen; auch mag, da die untere Figur den Ritter mit einem
Schild belehnt, die Vorstellung des Pfeils assoziiert worden sein. Die Figur ist
mit Straßburger Tugenden verwandt45, was natürlich nicht beweist, daß sie eben-

42 Abb. bei Janitschek, Gesch. der deutschen Malerei, Tafel zu S. 162.

43 Abb. bei Weber a.a.O. S. 120.

" Didron in Annales archeologiques XX, 1860.
46 E i c h h o r n a. a. O. S. 345.
 
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