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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Witte, Fritz: Die neueröffnete "Sammlung Clemens" in Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0066

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Nr. 4

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

55

Gewand ist weder selbstherrlich, noch tritt es dem Leib die
Herrschaft ab, beide stützen und betonen sich gegenseitig.
Prachtvoll ist der Gegensatz zwischen Vertikale und Hori-
zontale herausgearbeitet und dadurch der Figur eine rhyth-
mische Bewegung gegeben, die ihre Parallele findet in der
feinabgewogenen Abstützung des Körpers durch das zurück-
gezogene fest stehende linke Spielbein. Die Bewegung
selbst wird wieder aufgefangen und zur Geschlossenheit ge-
zwungen durch die ein großes Oval bildenden Umrißlinien
des Mantels.

Die Figur zeigt Reste von Polychromie in den Fleisch-
teilen; die Mantelsäume sind vergoldet.

Das halbbekleidete Kind, der naturalistische Zug, sowie
alle anderen stilistischen Eigenheiten verweisen das Madönn-
chen in das zweite Viertel des XIV. Jahrh.

Nr. 2. Es ist interessant, diese 28 cm hohe Figur Kölner
Herkunft neben die französische zu halten. Obgleich später
entstanden, weist sie die Erinnerungen an den gleichen
Ausgangspunkt, eben die französische Plastik des XI11. Jahrh.
in stärkerem Konservatismus auf als ihre französische
Schwester selbst. In ihr wirken starke innere Gegensätze.
Auch sie will naturalistisch im guten Sinne sein, darauf deutet
vorerst die kühne Haltung des eben-
falls halbbekleideten Kindes, das
vollkommen der Wirklichkeit abge-
lauscht und in einen genrehaften Zug hineingeführt ist.
DieMadonna selbst dagegen ist weniger frei; diehieratische
Auffassung Kölner Hochgotik ist in ihr noch lebendig;
davon zeugen der traditionelle Zug des Lächelns, die
Schematisierung des Kopfes trotz der bewußten Vor-
drängung körperhafter Wirklichkeit des Fleisches, vor
allem aber die an die Architekturplastiken gemahnende
Haltung der Frühzeit. Die Figur ist auch darin schema-
tischer, weniger von innen heraus aus einem Empfinden
für Statik komponiert; sie verliert den Halt des Aus-
balanciertseins, und nur das starke Gegengewicht des
Kindes auf ihrer Linken hebt den unangenehmen Eindruck
in etwa auf. Die Horizontale im Mantelmotiv durch-
schneidet die Figur, ohne in die Bewegung zur Vertikalen
zurückgeführt zu werden.

Der genrehafte Zug des sich spielerisch und mit
stark naturalistischer Beobachtung vorbeugenden Kindes
könnte leicht zu einer zu späten Datierung der Figur
veranlassen, wenn nicht die starke Schematisierung des
immerhin den Naturalismus suchenden Kopfes auf die
Zeit hinwiese, in der die große Anzahl der noch vielfach
erhaltenen Reliquienbüsten entstanden ist.

Abb. 1. Frankreich.

2. Viertel des XIV. Jahrh.

Abb. 2.

Köln.
 
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