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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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86

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 5/6

BÜCHERSCHAU.

Matthias Grünewald von Oskar Hagen.
Mit I 13 Abbildungen. 2. Auflage. Verlag
R. Piper & Co., München 1920.
Wie sehr Hagens Werk der Zeit ent-
spricht, zeigt der Umstand, daß es schon
nach einem Jahre in zweiter Auflage er-
schienen ist. Grünewald ist ja modern. Rem-
brandt, selbst Dürer verblassen heute neben
ihm. Die Zeit eilt zu dem „Romantiker des
Schmerzes", um bei ihm Trost zu suchen
und — gottlob — auch zu finden. Grüne-
wald hat getragen an sich und an seiner
Zeit, wie wir heute an der unsrigen. Daß
wir da in Grünewalds Werken so unend-
lich viel Erhebung finden, ist nicht bloß
für seine Kunst, sondern auch für seinen
Glauben und das Christentum überhaupt ein
glänzendes Zeichen. Wer über Grünewald
schreibt, muß das Christentum in der Form
des Katholizismus bis in die tiefsten Tiefen
verstehen, denn Grünewald wurzelt mit allen
Fasern seines Seins in katholischem Kultus
und in der katholischen Kultur. Ich habe
nicht die Überzeugung, daß Hagen bis zu
solchen Tiefen Grünewaldscher Kunst nach-
fühlen kann. Darum konnte sein Werk auch
nicht das Grünewaldbuch werden, auf das
wir alle warten. Dieses Werk wird nicht bloß
mit der Vernunft, sondern auch mit einem
glühenden Herzen geschrieben werden müssen.
Hagens Buch steht auf voller Höhe der
Grünewaldforschung und ist für den, der
sich über Grünewald auf das gründlichste
orientieren will, unentbehrlich. Eine völlig
erschöpfende Literaturübersicht gibt er aller-
dings nicht, sondern er bietet unter dem
Titel „Aus der Grünewaldhteratur" eine Aus-
wahl. Darum fehlt manches Wichtige, so z. B.
auch der in dieser Zeitschrift 1912 erschie-
nene bedeutsame Aufsatz von Münzel über
die vielumstrittene Handzeichnung der soge-
nannten Trinität. Das Scharfen Grünewalds
wertet Hagen ästhetisch, kulturell und histo-
risch in drei feinsinnigen Kapiteln: DerMeister
und seine Zeit, Bildungsmächte, Der Mensch.
Es folgt dann eine eingehende Besprechung
der einzelnen Werke. Hierbei findet Hagen
natürlich Gelegenheit, alle die zahlreichen
Fragen, die Grünewalds Kunst und Persön-
lichkeit heute an uns stellen, von seinem
immer mit Gründen versehenen Standpunkt
zu beantworten. Allerdings auch diese Ant-
worten sind doch nur Steinchen zu einem

großen Bau, Vermutungen, hinter denen
immer das Ignoramus steht.

Wenn wir nicht wüßten, daß Schiller nie
in der Schweiz gewesen wäre, würden wir
niemals glauben, daß er die Schilderungen
im Teil lediglich nach Beschreibungen Frem-
der geschaffen hat. Warum muß man denn
unbedingt einen Aufenthalt Grünewalds in
Italien konstruieren, um manches Italienische
in seinen Bildern zu erklären! Für Grüne-
walds Aufenthalt in Italien gibt es eben
kein bestimmtes Ja, wie es Hagen aus-
spricht. Ein Kulturwille wie die Renaissance
hatte viele Mittel und Wege sich durchzu-
setzen. Und von diesen Mitteln und Wegen
kennen wir heute nur einen Bruchteil. Mit
den Mantegnaentlehnungen Grünewalds ver-
hält es sich ebenso. Das neue „Beweis"-
material, das Hagen bringt, ist ebensowenig
überzeugend wie das bisherige der andern
Literatur. Auch glaube ich nicht bei der
weitern Frage nach einem Selbstporträt
Grünewalds, daß der Kopf des Paulus auf
dem Isenheimer Altar ein Porträt des Meisters
ist, und daß dort der junge Maler „sich
nur älter gemalt hat, als er war". Wir haben
ja, wie auch Hagen mit guten Gründen an-
nimmt, in dem jugendlichen, bartlosen Se-
bastian bereits ein Selbstporträt Grünewalds
auf dem Isenheimer Altar. Da ist es doch
höchst unwahrscheinlich, daß Grünewald sich
auf demselben Altar noch ein zweites Mal,
und zwar diesmal als dürren, alten Mann
mit grauem Barte porträtiert haben sollte.

Der Punkte, wo die Hagensche Auffassung
zum Widerspruch herausfordert, gibt es noch
zahlreiche, auf sie alle kann hier im einzelnen
natürlich nicht eingegangen werden. Die
Gegensätzlichkeiten sind bei dem Dunkel, das
über Grünewalds Schaffen und Leben liegt,
nur zu verständlich, und trotz ihrer legt man
Hagens Buch mit der Gewißheit aus der Hand,
daß man immer wieder darauf zurückgreifen
wird. Denn Hagen umleuchtet seinen Gegen-
stand mit solch schillerndem Wissen und mit
solcher Gründlichkeit, daß man bei dem
Studium des Buches fühlt, wie man inner-
lich selbst rei her wird.

Von dem Kopf des hl. Sebastianus, dem
vermutlichen Selbstbildnis Grünewalds, bringt
Hagen (S. 161) eine glänzende Wiedergabe,
wie überhaupt das Buch in Druck und Illu-
strationen mustergültig ist. Beitz.
 
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