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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Witte, Fritz: Miniaturen zum Psalter von Müller-Ewald
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0144

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Nr. 9 10 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. J31

sagen wir den metaphysischen Adel dieser Verse verspüren, neu erleben
und durchleben und ihn an die Mitmenschen weiterzugeben das Bedürfnis
haben. So auch Müller-Ewald1. Er beichtet in seinen Blättern der Psalmen
den ganzen Inhalt seiner ernsten, reifen Seele, reif geworden durch Selbst-
zucht und Zucht durch Bildung. In ihm arbeitet einer, der nicht beim
Präreligiösen, unter den Portalen des Gotteserlebnisses stehen bleibt, bei
ihm reicht die persönliche religiöse Ergriffenheit bis in das rein Manuelle
hinein. Daher auch die Geschlossenheit seiner Kompositionen als Einzelbilder
sowohl wie als Zyklus, daher sein Abrücken von der zaghaften Umrißlinie
und scheuen Farbe des sich quälenden Illustrators, daher seine wuchtige,
in Kontur und Farbe sich hüllende Symbolik. Die Dynamik seiner steigen-
den und fallenden Ergriffenheit nimmt hier Gestalt an und springt auf den
Beschauer über. Mit einem einzigen großen Gestus der Symbolik sagt er
alles, was er im selbstgeschriebenen Begleittext in wuchtig-monumental
einherschreitender Übersetzung des Urtextes zu sagen hat. Verblüffend ist
die bewußte Beschränkung der Ausdrucksmittel, die Radiernadel umreißt
große Flächenmaße, löst sie nie zersetzend auf; seine Visionen zeichnen
groß, er vergißt über dem Schauen fast das Formale und läßt es nur noch
in dienender Unterordnung Träger seiner Visionen sein. Tiefinnerliche
Mystik einer tiefreligiösen Seele.

Welchen Weg Müller-Ewald gegangen, sagt er uns einmal selber: Von
der Beherrschung formaler Formen gelangte er über die formale Ausge-
glichenheit und gesetzmäßige Ordnung der Giotto, Donatello und Botticelli
hinweg zu den Äußerungen dämonischer Künstlerkraft Michel Angelos. Das
war der Weg, den ja eigentlich alle unsere zielsicheren Künstler gehen
sollten, um dann wie Müller-Ewald zu der Kunst zu gelangen, in der das
Zeitlose, Jenseitsgewandte, Visionäre zum tiefinnerlichen Erlebnis wird.
Müller-Ewald fand das bei den großen Mosaizisten von Ravenna. Gewiß:
wir finden die Spuren dieses Weges nach Ravenna wieder in seinen Psalter-
illustrationen; aber nicht das Äußerliche, Formale, sondern das rein Geistige,
die Auffassung von den geistigen Dingen, die künstlerische Stellungnahme
der Großen von Ravenna lebt in seinen Bildern wieder auf. So kleidet er
in einen rein persönlichen Stil das ewig Gültige, Unveränderliche. Und
dieser Stil paßt sich dem Geschauten, nennen wir es Thema, an, kleidet
sich einmal in die dumpf lagernde Linie der Trauer, zuckt ein anderes Mal
leidenschaftlich auf wie Feuersflammen, klagt in schattenden Tönen, ringt
im Beten im feurigen Rot, jauchzt zum Schöpfer im strahlenden Sonnen-
golde.

Die Auswahl der Texte und damit der Miniaturen ist eine sehr glück-
liche. Mit Psalm 1 hebt die Bilder- und Textfolge an: „Wohl dem, der
nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder...."
Wie ein eindringlicher Mahner zum Guten und zur Gottesgefolgschaft steht

1 Miniaturen zum Psalter. Verlag: Kunstsalon Herrn. Abels, Köln. Es werden 10
handgeschriebene Exemplare vom Künstler signiert, sowie 100 Exemplare in handkolorierten
Lithographien herausgebracht.
 
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