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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0041

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Andrzej Pawel Bies, SI

Jesuitenschulen in Breslau

Die Jesusgesellschaft wie der offizielle Namen des Jesuitenordens
lautet, ist in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts berufen worden.
Weder der Heilige Ignatius Loyola, um den sich die ersten Jesuiten
gruppiert haben, noch Papst Paul IIP, der den Orden bestätigte,
haben den Schulunterricht als Ziel, Aufgabe oder Mission des neuen
Ordens gesehen. In der ersten Phase beruhte ihr Apostolat haupt-
sächlich auf dem Katechismusimterricht, Predigten, Beichten,
Durchführung von Einkehrtagen und Bahrmherzigkeitstätigkeiten.
Jedoch haben die Jesuiten schnell entdeckt, dass ihr allerwichtigstes
Ziel, verstanden als Seelsorgetätigkeit1, am besten erreicht wird, indem
man der Jugend eine humanistische Bildimg ermöglicht und ihnen
Normen christlichen Lebens vermittelt. Daher wurde in den ersten
zwanzig Jahren des Bestehens des Ordens der Schulunterricht die
vorrangigste Aufgabe des apostolischen Dienstes der Jesus-
gesellschaft. Zum Zeitpunkt des Todes des Gründers im Jahre 1556
besaßen die Jesuiten Weltweit bereits 46 Schulen2.
Die volle jesuitische Schule bestand aus zwei Stufen - aus unteren
Klassen, auch als imtere Schulen benannt, und aus humanistischen
Studien oder auch oberen Studien, die philosophische und theolo-
gische Studiengänge umfassten. Neben dem ufassenden Modell, das
für die Jesuiten immer das Ideal einer Schule darstellte, gab es auch
viele Schulen, die ausschliesslich sogenannte imtere Klassen oder
sogar nur einen Teil dieser Klassen hatten. Der Unterricht in den
imteren Klassen basierte auf einem humanistischen Modell der Aus-
bildung von Geist und Fähigkeiten durch das Erlernen der lateinis-
chen und griechischen Grammatik sowie der Poetik- imd Rhetorik-
theorie. In die Schulen wurden neim bis zehnjährige Jungen auf-
genommen, die bereits Lesen und Schreiben in Latein beherrschten3.
Dieses Schulsystem wurde den niederländischen Schulen der Brüder
des Gemeinsamen Lebens mittels der Pariser Universität entlehnt
und wurde deshalb modus parisiensis genannt. Zu den wichtigsten
Eigenschaften des Systems gehörten: die Aufteilung der Schüler in
Klassen, die Bestimmung eines Programmminimums für jede Klasse,
dessen Beherrschung erst die Versetzung m die nächste Klasse
ermöglichte, Beachtung der Disziplin und mehrmalige Wiederholun-
gen des Unterrichtsmaterials, Übungen und öffentliche Auftritte
als Motivierungsmethoden für die Schüler. Gemäss der Bildungs-
bestimmungen sollte man nach dem Abschluss der humanistischen
Schule philosophische Studien aufnehmen und erst nach der Been-
digung dieser Studien konnte man ein theologisches, juristisches
oder medizinisches Studium beginnen. Der Gründer der ersten Jesuite-
nschulen, Pater Hieronymus Nadal (1507-1580) hat den modus pansien-
sis als Muster betrachtet, jedoch bereicherte er ihn um solche neuen
Elemente wie: kostenfreier Unterricht, Erlangung wissenschaftlich-
er Grade, Beachtung von hygienischen Bedingungen und der Gesund-
heit der Schüler sowie die Sorge um deren Seelenleben4.
Die dynamische Entwicklung dieser Form des Apostolats, die sich
in einer Gründung von 143 neuen Schulen innerhalb von 44 Jahren

dokumentiert, stellte den jungen Orden sehr schnell vor die Aufgabe
einer Erneuerung der Normen betreffend der Methoden imd Unter-
richtsprogramme. Nach über 50 Jahren Studien, Erfahrungsanalysen
und Stellungnahmen der Praktiker sowie nach der Beurteilung der
erarbeiteten Programme' veröffentlichte der Ordensgeneral, Claudius
Aquaviva, im Jahre 1599 in Neapel die entgültige Ausgabe der
Regeln - Ratio ate\ue institutio studiorum Societatis Jesu, kurz Ratio stu-
dionmf. Das war das erste Schulgesetz in der Geschichte, das den
Unterricht und den Erziehungsprozess genau bestimmte und zugl ich
die Bildungsgrundlage für die Welt. Dieses Bildungsregelwerk bee-
influsste ebenfalls die Organisation und Tätigkeit anderer Schulen,
woraus die europäische Schule der Neuzeit hervorging.
Die Bemühungen um die Hebeiführung der Jesuiten nach Schle-
sien und die Gründung einer von ihnen einer geführten Schule auf
dem Gebiet der Breslauer Diözese begannen schon im Jahre 1554.
Die hiesigen Bischöfe und Vertreter der Höheren Geistlichkeit ver-
suchten auf diese Weise, eine Hilfe für die kleine katholische Minder-
heit, die in dieser Provinz von den Bekennern der Augsburger
Konfenssion dominiert war, zu erlangen. Erst 1580 gelang es dem
Breslauer Bischof Martin von Gerstmann, den Vorsitzenden der öster-
reichischen Provinz zu überreden, seine Mitbrüder mit der Aufgabe
von Predigten imd Beichten im Dom und der Durchführung von
Konferenzen für den hiesigen Klerus zu schicken. Zwei Kaplan und
zwei Ordensbrüder bezogen das vom Kapitel bestimmte Haus auf
der Dominsel imd gründeten somit eine Missionsstation, die vom
großen Ordenshaus (sog. Kollegium) in Prag abhängig war7. Die unter
anderem von Bischof Andreas von Jerin später unternommenen
Bemühungen um die Eröffnung von Schulen und die Umbildung
dieser Station in eine Residenz oder ein Kollegium trafen einerseits
auf den heftigen Widerstand des protestantischen Stadtrats, der bei
Kaiser Rudolf II. intervenierte, andererseits auf wesentliche Personal-
defizite des hingen Ordens. Die über zweihundert Jesuiten, die die
österreichische Provinz bildeten, übernahmen neben den schon
geführten sieben großen Kolliegen in den 80er oder 90er Jahren des
16. Jahrhunderts noch die Gründung von weiteren neun Stationen,
hauptsächlich auf dem Gebiet des Königreiches Böhmen8.
Die fehlenden Entwicklungsperspektiven der Breslauer Mission
bewegten den Visitator Pater Laurentius Maggio zum Entschluss
zur Schliessung derselben im Jahre 1595. Dies beruhigte jedoch nicht
die protestantischen Oponenten, die weiterhin im Namen der Herzoge
und der schlesischen Stände in Supliken an den Kaiser das Nicht-
hereinlassen der Jesuiten nach Schlesien verlangten9. Der Ausbruch
des Dreißsigährigen Krieges im Jahre 1618 bedeutete für die Jesuiten
eine Verbannung, mit der sie vom böhmischen Aufstandsdirektorat
bestraft wurden. Ihre Rückkehr in das Gebiet des Königreichs Böhmen
wurde erst nach dem Sieg der Habsburger am Weißen Berg.
(18.09.1620) möglich. Die kaiserliche Hilfe ermöglichte die Wieder-
einführung der alten Wirkungsstätten und den Beginn vieler neuren

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