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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0122

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Günther Dittrich1

Die Geschichte des Realgymnasiums am Zwinger in Breslau

Die Entwicklung der Industrie und des Handels sowie der Ausbau
der Verwaltung veränderten zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch
das bisher mehr agrarisch eingestellte Schlesien. Für die neuen Auf-
gaben wurden Bürger gebraucht, die dafür ausgebildet waren, eine
der Praxis zugewandte Lebenseinstellung mit wissenschaftlichen
Grundlagen des Denkens zu verbinden. Die bisherigen Schulen
Breslaus vor der Gründung der „Realschule am Zwinger" wurden
diesen Anforderungen nicht gerecht. Die „Volksschulen" wurden nur
wenige Jahre besucht und vermittelten lediglich Lesen, Schreiben,
Rechnen und Religion - nicht ausreichend als Grundlage für eine
gehobene Tätigkeit in Industrie, Handel und Verwaltung. Die „Bürger-
schule zum Heiligen Geist" unterrichtete in den 20er Jahren des
19. Jahrhunderts in 6 - 7 Schuljahren praktisch bis zur Quinta (2. Gym-
nasialklasse) und wirkte damals mehr als Zubringerschule für die
Gymnasien denn als ein Institut, das für gehobene, differenzierte
Berufe eine ausreichende abgeschlossene Bildungsgrundlage ver-
mittelte. Die vier Gymnasien Breslaus dienten primär der Vorbe-
reitung auf das Studium und nicht auf gehobene nichtakademische
Berufe. Wegen dieses überall empfundenen Mangels an zeitgerech-
ten Ausbildungsstätten für diesen Berufskreis wurden damals in meh-
reren deutschen Städten sog. „Höhere Bürgerschulen" oder „Real-
schulen" gegründet, z.B. in Leipzig, Hamburg, Dresden, Köln, Frank-
furt an der Oder. Es war also dringend erforderlich, dass Breslau,
zweitgrößte Stadt Preußens, kulturelles Zentrum einer Provinz mit
blühendem Handel und sich immer differenzierter entwickelnder
Industrie, den Söhnen seiner Bürger und der Bewohner der Provinz
auch die Ausbildung in einer solchen „Realschule" ermöglichte, die
als Bildungsanstalt dem Kreis der höheren Schulen zuzurechnen war.
Die Bezeichnung „Realschule" rührt daher, dass hier die
„Realien", d. h. die Sachkenntnisse in möglichst vielen Fächern, im
Gegensatz zur sprachlichen, logischen, formalen Bildung, wie sie
das Gymnasium vermittelte, in größerem und ausschlaggebendem
Umfang gelehrt wurden. Gottfried Ludwig Rahn, „Pfarrer zu
St. Bernhardin und Propst zum Heiligen Geiste", rief im gedruck-
ten Anhang zu einer seiner Predigten 1816 mit Zustimmung des
Breslauer Magistrats (d.h. der Stadtverwaltung) die Bürgerschaft
auf: ... durch freiwillige Beiträge eine Bürgerschule zu gründen, welche
zwischen unseren Gymnasien und unseren Elementarschulen mitten inne
steht, für beide Geschlechter und alle christlichen Konfessionen, nach dem
Muster der Bürgerschule zu Leipzig, um eine längst gefühlte Lücke aus-
zufüllen und einem dringenden Bedürfnisse abzuhelfen.
Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und spendete 500 Taler,
die Stadtverwaltung bewilligte 1.000 Taler und stellte am 18. 06.
1816 ein Grundstück „Auf der Hummerei 18" zur Verfügung. Das
sozusagen embryonale Leben der neuen Schule beginnt.
Das Grundstück erwies sich jedoch nicht als geeignet, die Stadt
übereignete der Schule ein anderes Grundstück auf dem Zwinger-
platz, nach dem die 1823-25 für 28.366 Taler errichtete Schule ihren

Namen erhielt. In das neue Gebäude zog aber erst einmal das
Elisabeth-Gymnasium (dessen Neubau noch nicht fertig war) sowie
eine Elementarschule (Volksschule, Hauptschule). 10 Jahre blieb das
Gebäude von diesen beiden Schulen belegt, und in der Zwischenzeit
wurden mehrere „Geburtshelfer" aktiv. Der Magistrat beauftragte
schließlich den Vorsitzenden der „Schuldeputation" (d.h. des Schul-
ausschusses), Superintendent Dr. Tscheggey und Dr. Reiche (Direktor
des Elisabeth-Gymnasiums) sowie Dr. Morgenbesser (Rektor der
Schule zum Heiligen Geist) 1830 mit der Ausarbeitung eines Orga-
nisations- und Lehrplans, der 1833 von der Provinzial-Regierung
in Breslau genehmigt wurde. Richtschnur waren zwei Grund-
gedanken.
Dr. Reiche (1827): Es gibt außer dem Weg durch die klassischen
Sprachen noch einen anderen Weg, der, wenn auch nicht zum höchsten
Ziele, so doch zu einem demselben sich nähernden führt für alle diejeni-
gen, welche sich gewerblichen Berufsarten widmen wollen.
Bürgermeister Menzel (1828): Diese Bürgerschule soll für alle die
sein, die in das bürgerliche Leben eintreten, [...] es sei als Kaufmann,
Künstler, Fabrikant, Ökonom, Architekt, Forstmann oder Beamter.
Zusammenfassend: Für die sich immer mehr differenzierenden,
nichtakademischen, gehobenen Berufe war eine einheitlichere, abge-
schlossenere, zweckmäßigere Vorbildung nötig, als die Mittelklassen
des Gymnasiums sie vermittelten (nach deren Besuch, mit der spä-
ter sogenannten „mittleren Reife", man damals in die Praxis geho-
bener Berufe eintreten konnte).
Doch sollte die Ausbildung: ...von wissenschaftlichem Geiste getra-
gen sein.
Gymnasien und Realschulen sollen beide auf den gleichen Grund-
lagen religiöser, sittlicher imd geistiger Kultur aufbauen. Latein
z.B. soll in den unteren Klassen des Gymnasiums mit Blick auf das
wissenschaftliche Ziel im späteren Studienfach des Schülers, in der
Realschule dagegen zum praktischen Zweck (z.B. für die Tätigkeit
als Apotheker) unterrichtet werden.
Der 15. Oktober 1836 ist endlich der wirkliche Geburtstag der
neuen Schule, sie wird eröffnet mit 216 Schülern in der 1. bis 4.
Gymnasialklasse (Sexta bis Tertia). 104 Schüler kamen aus den städ-
tischen Gymnasien. Als Lehrer wurden eingestellt: Prorektor und
1. Oberlehrer Kleinert von der Realschule in Frankfurt/Oder; der
„ordentliche Lehrer" Gnerlich (bisher Hilfslehrer an der Magda-
lenen-Töchter-Schule); 2 „Kollaboratoren" (Kandidaten des höhe-
ren Schulamts) als Hilfslehrer für Französisch, Religion, Kunst,
Musik; 2 Schreiblehrer. Von größter Wichtigkeit für eine neue Schule
ist selbstverständlich die Person des ersten Leiters, der ihr gewis-
sermaßen seinen Stempel aufdrückt. Hier hatte unsere Schule gro-
ßes Glück. Auf Empfehlung von Direktor Reiche (Elisabeth-Gym-
nasium) wählte der Magistrat Dr. Caesar Albano Kletke, Lehrer am
Elisabethanum, als Leiter unter der Bedingung (die zu erfüllen Kletke
sehr schwer fiel), seine Dozentur für angewandte Mathematik an

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