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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0255

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Maigorzata Olechnowicz

Breslauer Schulneubauten nach 1945

Diese Besprechung ausgewählter Schulgebäude, die in Wroclaw
(Breslau) nach dem 2. Weltkrieg errichtet worden sind, verlangt
eine kurze Einführung. Die Architekten und Bauarbeiter, die in
den ersten Nachkriegsjahren am Aufbau der Stadt selbst beteiligt
gewesen waren, erinnern sich noch an die damals herrschenden
Arbeitsbedingungen. Doch schon für die heute 45-Jährigen ist diese
Zeit Geschichte, und zwar eine, von der nur selten erzählt wird
und die deshalb schwer zu verstehen ist. Anders als man denken
mag, waren die Jahre nach 1945 eine Zeit vielfältiger und diametraler
Wandlungen in Architektur und Urbanistik. Die hier beschriebenen
Schulgebäude spiegeln diese Veränderungen deutlich wider -
sowohl im Hinblick auf ihre Standorte, als auch auf Form und
Funktion.
In den Veröffentlichungen, die sich der polnischen Architektur
der Nachkriegszeit widmen, wird in der Regel die Zeit bis 1949 als
eigenständige Epoche unterschieden. In diesen Jahren entstanden
monumentale Objekte, die den Bedürfnissen der neuen Machthaber
und Verwalter entsprachen. Gleichzeitig wurden mit verstärkter
Kraft Wohnsiedlungen errichtet, und zwar entsprechend räumlichen,
funktionalen und formalen Richtlinien, die aus der Moderne
stammten. Die Architektur in den Städten der neugewonnenen
polnischen Gebiete weist aber die beschriebenen Besonderheiten
nicht auf, eine Abgrenzung der Epoche bis 1949 ist vor allem für
Warschau sinnvoll. Zu dieser Zeit bemühte man sich in Wroclaw
und anderen Städten einerseits fieberhaft darum, die zerstörten
Bauten zu sichern. Andererseits wurden sämtliche Materialien, für
den Aufbau der Hauptstadt gebraucht werden konnten, dorthin
gebracht, später auch in andere Städte, die wieder aufgebaut wurden:
nach Poznan (Posen), Lublin, Katowice (Kattowitz) und Krakow
(Krakau; in den Stadtteil Nowa Huta)1. Erst 1948 entstand in War-
szawa (Warschau)2 ein erster Nutzungsplan für die Altstadt von
Wroclaw3. Glücklicherweise wurde damals entschieden, das Zen-
trum von Wroclaw nach historischen Vorbildern wieder auf-
zubauen4. Nur die traditionelle Funktion der Altstadt sollte sich
wandeln: aus einem Geschäfts- und Verwaltungszentrum wurde
ein Wohnviertel, das von der Verwaltung der Arbeitersiedlungen
(Zarzqd Osiedli Robotniczych, ZOR)5 übernommen wurde.
In den ersten Jahren wurden der Marktplatz (Rynek) und der
Salzmarkt (plac Solny) sowie die umliegenden Straßen aufgebaut.
Die Häuser an diesen Straßen weisen die typischen Merkmale der
ZOR-Bauten auf6. Als man schließlich auch die weiter entfernt liegen-
den Straßen aufzubauen begann, galt der sozialistische Realismus
schon als überholt und sein Stil war verpönt. Wieder griff man auf
die Ideen der Vorkriegs-Moderne zurück7. In dieser Periode wollte
man um jeden Preis modern bauen, Rücksicht auf die bestehende
Umgebung wurde nicht genommen. So wurden wiederholt urbane
Systeme gewachsener Groß- und Kleinstädte zerstört. Mitten in eine
bestehende Bebauung hinein wurden Gebäude oder Baugruppen,

manchmal ganze Siedlungen, errichtet, die einen völlig fremden
Charakter hatten3. Der Bedarf an neuen Wohnungen war riesig, der
Mythos von der Technik und der Wunder wirkenden Rolle der
Industrie war allgegenwärtig. Weil kein einziger Komplex von
Industriebauten so fertig gestellt wurde, wie es der Plan vorgesehen
hatte, lassen sich die Mängel der ursprünglichen Richtlinien auch
nicht wirklich nachweisen.
Ende 1959g legte die Regierung in einem Beschluss die Prinzipien
der komplexen Standardisierung im Bauwesen auf der Grundlage
eines bestimmten Moduls genau fest. Es handelt sich hierbei um
ein Modul in den Maßen 30x30cm, das ein für ganz Polen verbind-
liches Typenmuster darstellte und sämtliche Bau- und Einrichtungs-
elemente (zum Beispiel Möbel) normierte. Mitte der fünfziger Jahre
begann man mit der industriellen Herstellung von Betonfertigteilen
und in Formen gefertigten Wandelementen. Zugleich wurde die
Großblockbauweise und etwas später auch der monolithische Stahl-
betonbau eingeführt. 1959 wurde erstmals die Großplattenbauweise
(mit eingebauten Fensterrahmen) angewendet. Bereits 1963 wurden
34% der Wohneinheiten in dieser neuen Technik errichtet. Das Bauen
wurde vor allem industrialisiert, um Kosten zu senken. Bald aber
zeigte sich, dass sich diese Hoffnung kaum erfüllte. Im besten Falle
waren Wohnungen aus Fertigteilen um 20% billiger111. Es wurde
weiter nach neuen, besseren Materialien gesucht, die den Anfor-
derungen der Konstruktion und Isolierung entsprächen. Da Entwürfe
für Einzelbauten kaum noch zur Anwendung kamen, verbreitete
sich die industrielle Bauweise immer mehr11.
Bei der Planung von Wohnkomplexen stützte man sich auf die
so genannten funktionalen wiederkehrenden Einheiten, eine Metho-
de, die bisher nur in Warschau in der zweiten Hälfte der vierziger
Jahre des 20. Jahrhunderts angewendet worden war. Eine Grund-
einheit war für 5000 bis 8000 Einwohner vorgesehen, für die das
Programm jeweils eine Grundschule vorsah. In bereits teilweise
bebauten Gebieten haben diese neuen Komplexe - ohne formale
Verbindung mit der Umgebung - die bestehende Bebauung aufge-
nommen12. Das Prinzip der Randbebauung wurde auf gegeben, der
Standort der Gebäude orientierte sich an der bestmöglichen Sonnen-
einstrahlung in die Wohnungen13. Unterschiedliche Bauhöhen und
Punkthäuser sollten Abwechslung bringen und die Komposition
der Wohnkomplexe bereichern. Der Standort der Gebäude wurde
nicht mehr durch die Straßenflucht bestimmt, sondern allein durch
die Sonneneinstrahlung und das räumliche System der Siedlung.
Die Versorgungseinrichtungen wurden aus diesen neuen Baukom-
plexen im Namen des funktionalen Purismus ausgegliedert14.
Die Anwendung neuer Technologien beeinflusste entscheidend
das Aussehen der Bauten und ihre Fassadengestaltung. Bei der
Planung orientierte man sich häufig an westlichen Vorbildern,
obwohl die technischen Möglichkeiten in Polen nicht immer gegeben
waren. Ein wichtiges Kompositionselement war die Einteilung der

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