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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0134

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Konrad Gajek

Das Breslauer protestantische Schultheater
im 17. und 18. Jahrhundert1

i
In den Beständen der Abteilung Alte Drucke der Breslauer UB
befinden sich etwa anderthalb Tausend Einladungsschriften (ge-
druckte Theaterprogramme) zu Redeübungen und Aufführungen des
Schuldramas sowie zu Inszenierungen von Theaterstücken an den
beiden bedeutenden protestantischen Gymnasien in Breslau - dem
Elisabethanum und dem Magdalenäum. Sie dokumentieren die ehr-
geizige formenreiche Bildungsarbeit, bei der man sich auch der Mittel
der Kunst bediente.
Die beiden ehrwürdigen Lehranstalten waren in ihren Anfängen
Kirchenschulen an den zwei grossen Pfarrkirchen in der Altstadt -
1267 wurde die Schule bei St. Maria Magdalena, 1293 bei St. Elisabeth
gegründet. Den Status eines Gymnasiums erhielt die Elisabethschule
bereits 1562, die Magdalenenschule erst 1643.
Die gedruckten Einladungsschriften zu den Vorstellungen von
Schuldramen aus der Feder der Lehrer sowie zu den Einstudierungen
der förmlichen Comoedien, Theaterstücken bekannter Dramatiker, stam-
men aus dem 17. und dem 18. Jahrhundert. Es fehlt jedoch nicht an
Hinweisen auf frühere Schüleraufführungen in Breslau. Am 1. März
1500 spielten die Schüler der Pfarrschule zu St. Elisabeth im Rathaus
den Eunuchus von Tererrz; es ist die erste nachweisbare Aufführung
dieses Stückes im deutschen Sprachraum. Zwei Jahre später ver-
folgten die Breslauer ebenfalls im Rathaus die Auftritte der
Elisabethaner in der Inszenierung der Aulularia von Platus imd 1562
zur Einweihung des neuen Schulgebäudes spielten sie eine Komödie
von Kain und Abel in deutscher Sprache imd danach in Latein eine
Bearbeitung nach Terenz. Seitdem die beiden Schulen zu Gymnasien
erhoben wurden, gab es anlässlich feierlicher theatralischer Veran-
staltungen auch den Redeactus.
Das älteste erhaltene gedruckte Schuldrama, dessen Aufführung
nachgewiesen ist, schrieb 1613 der Pädagoge Georg Seidel (um 1550—
1626); gleichzeitig erschien die deutsche gereimte Fassung unter dem
Titel Eine Newe Tragico-Comaedia Tychermaea oder Stamatus genent.
Gehalten inn der Fassnacht im Bresslischen Gymnasio, besorgt von dem
Lehrer Andreas Francke.
Den Brauch, kostümierte, feierliche Schüleramzüge auf offener
Strasse zu halten, erwähnt Nikolaus Pol2; reich ausgestattete Komö-
dianten von beiden Gymnasien zogen zu Fuss und zu Ross, im
Februar 1616 mit Schlitten, um den Ring.
Die Blütezeit erlebte das Schultheater in Breslau Mitte des 17.
Jahrhunderts, nach dem 30jährigen Krieg. Neben niveauvollen ora-
torischen Übungen gab es zahlreiche interessante Inszenierungen
angesehener Autoren, literaturgeschichtlich wichtige Premieren be-
deutender Werke von Martin Opitz, Andreas Gryphius, Daniel Casper
von Lohenstein. 1651 - wie wir aus dem Tagebuch des Rektors Elias
Major erfahren - haben die Schüler des Magdalenäums Opitz Judith

eingeübt. In der humanistischen Atmosphäre der protestantischen
Gymnasien bot sich den zeitgenössischen Literaten die zweifellos
rare Gelegenheit, ihre Stücke auf die Bretter zu bringen, manchmal
noch vor der Drucklegung, wie im Falle der Cleopatra (1661) von
D. C. von Lohenstein (1635-1683). Auch Andreas Gryphius (1616—
1664), einer der bedeutendsten Dichter und Dramatiker des schlesi-
schen Barocks, richtete manche seiner Stücke auf die bühnentechni-
schen Möglichkeiten am Elisabethgymnasium aus, dessen Rektor
Elias Major, ein Liebhaber und Mäzen des Schultheaters, selbst unzäh-
lige Schulactus verfasste; Elias Major (1588-1669) studierte in Witten-
berg Theologie, Philosophie imd Musik, besuchte gemeinsam mit
anderen Studenten aus Schlesien das Collegium declamatorium priva-
tum. Auch unter seinen Pädagogen befanden sich nicht minder begab-
te Autoren, wie der Dichter Christoph Köler und Johann Gebhard,
später Martin Hanke und Georg Wende.
Das Magdalenengymnasium erfreute sich gleichermaßen ehr-
geiziger verdienstvoller Rektoren, wie Heinrich Klose, Valentin Klein-
wechter und sein Nachfolger Johann Fechner. Fechner wirkte zuvor
am Elisabethanum, wo er unter Elias Major Schulactus inszenierte.
Bekannt sind Namen von Professoren, die am Magdalenäum Theater-
veranstaltungen mit Schülern vorbereiteten sowie ihre eigenen Actus
auch außerhalb der Schulräume aufführten.
Einen stimulierenden Anstoß für die Intensivierung der Theater-
arbeit in den protestantischen Gymnasien bildete die Tätigkeit des
Jesuitenordens, der im Zuge der Rekatholisierung 1638 in Breslau
seine Ordensschule eröffnete und die Theatervorstellungen als Unter-
richts- imd Erziehungsmittel einsetzte. Die Jesuiten knüpften an die
seit dem 15. Jahrhundert bestehende Tradition an, in den Lateinischen
Schulen klassische Dramen und später Humanistendramen durch
Schüler darstellen zu lassen. Im harten Kampf gegen den schlesi-
schen Protestantismus sollte das Schultheater, auch durch öffentli-
che Vorstellungen, die Gemüter der studierenden Jugend sowie der
großen Menge beeinflussen. Man sparte nicht an Mitteln für die
Ausstattung, für prunkvolle Bühnenbilder und Effekte; hervorra-
gende Inszenierungen bestätigt die opulente Sammlung von
Periochen in der UB Breslau. Die bescheidenen szenischen Dar-
bietungen in den Sälen der protestantischen Gymnasien wurden
bald durch die Wirkungskraft des Jesuitentheaters übertroffen, dem
auch Zöglinge der beiden protestantischen Schulen gern beiwohn-
ten. Die protestantischen Schulbehörden sahen sich gezwungen, ihre
Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken; Schüleraufführimgen von förm-
lichen Comoedien auf öffentlichen Bühnen wurden bewilligt und sogar
gefördert. Einen einflussreichen Gönner hatten die protestantischen
Gymnasien in dem Dichter Christian Hoffmann von Hoffmanns-
waldau (1616-1679), der seit 1656 im Rat der Stadt für das Schulwesen
zuständig war. Damals schon setzte er sich für das Schuldrama in

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