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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0062

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Maria Zduniak

Musikschulwesen in Breslau
im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Das multikulturelle Antlitz Schlesiens wurde maßgeblich durch die
hier lebende deutsche, polnische und tschechische Bevölkerung
gestaltet. Wie es in Grenzregionen üblich ist, durchdrangen sich
verschiedene Einflüsse und ergaben schließlich eine vielseitige,
gleichzeitig aber spezifische Kultur. Ein solcher Reichtum war im
musikalischen Leben auch für die schlesische Hauptstadt Breslau
in den vergangenen Jahrhunderten charakteristisch.
Seit dem Mittelalter pflegten in Breslau kirchliche Institutionen
die Musik. An den Dom- und Klosterschulen1 war Gesangsunterricht
Pflichtfach. In der Neuzeit wurde der musikalische Elementar-
unterricht auch an den allgemeinbildenden Schulen eingeführt.
Am protestantischen Elisabeth-Gymnasium wurde beispielsweise
seit 1562 Musik gelehrt, seit 1643 am protestantischen Maria-
Magdalena-Gymnasium und am katholischen Matthias-Gymnasium
(gegründet 1638)2.1829 wurden in der Zeitschrift „Eutonia" Doku-
mente veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass für das Gesangs-
studium am Elisabeth-Gymnasium Kantor Johann K. Pohsner (1785-
-1846) verantwortlich war, am Maria-Magdalena-Gymnasium dage-
gen der Musiklehrer Kahl. Am Matthias-Gymnasium unterrichtete
der hoch geschätzte Domkapellmeister und Komponist Bernard
Hahn (1780-1852) Gesang. Von den hervorragenden Fähigkeiten
des Chores am Matthias-Gymnasium zeugt sein reiches Repertoire,
er führte u.a. Motetten von Johann Sebastian Bach, Chorwerke von
Georg Friedrich Händel, Joseph Haydn, Carl Heinrich Graun, Carl
Maria von Weber, Louis Spohr und Gioacchino Rossini auf. Ein solch
breites Lehrprogramm an den allgemeinbildenden Schulen trug
nicht nur zur Verbreitung musikalischen Wissens bei, sondern erhöh-
te auch die Beliebtheit gemeinschaftlichen Singens, wie es für das
gesamte 19. Jahrhundert kennzeichnend war. Der Musikunterricht
führte außerdem zu einem steigenden Interesse an Musik im wei-
testen Sinne und förderte die Entwicklung der musikalischen
Begabungen der Schüler. Auch zukünftige Konzertbesucher wur-
den so ausgebildet.
An den Lehrerseminaren wurde im 18. Jahrhundert ebenfalls
eine musikalische Ausbildung erteilt. Das erste katholische Lehrer-
seminar wurde in Breslau bereits 1765 gegründet, drei Jahre spä-
ter entstand das evangelische Lehrerseminar4. Im Unterrichts-
programm nahm die musikalische Bildung einen recht breiten Raum
ein. Gesang und Instrumentalspiel wurden unterrichtet, ganz beson-
ders aber wurde der Chorgesang gepflegt, so dass die Auftritte der
Chöre zukünftiger Lehrer auf hohem Niveau waren. Um die Zöglinge
so gut wie möglich auf ihren zukünftigen Beruf vorzubereiten,
bemühte man sich um entsprechende Pädagogen. Am katholischen
Schullehrer Seminar unterrichtete der Domkapellmeister und Kom-
ponist Joseph Ignaz Schnabel (1767-1831) Gesang und Orgelspiel.
Harmonielehre, Klavier- und Geigenunterricht dagegen waren dem

angesehenen Pianisten und Komponisten Carl Schnabel (1809-1881)
anvertraut, und den Chor leitete der vielseitige Musiker Ignatz
Lukas (1762-1837). Das evangelische Schullehrer Seminar hatte den
herausragenden Organisten aus der St. Elisabeth-Kirche, Friedrich
Wilhelm Berner (1780-1827) angestellt. Nach dessen Tod wurde der
Volkskundler und Chorleiter Ernst Heinrich L. Richter (1805-1876)
engagiert, dem man nicht nur den Unterricht im Orgel- und
Geigenspiel, sondern auch den Sologesang und die Chorleitung
anvertraute. Die weniger fortgeschrittenen Schüler lernten unter
Anleitung von Friedrich Eduard Sobolewski5.
Ein folgenreiches Ereignis im geistigen Leben der schlesischen
Hauptstadt war 1811 der Umzug der protestantischen Universität
Viadrina aus Frankfurt an der Oder nach Breslau und ihre Vereinigung
mit dem städtischen ehemaligen Jesuitencollegium, also mit der
katholischen Akademie Leopoldina. So entstand eine neue Lehrstätte
mit fünf Fakultäten. Vom Moment ihrer Gründung an zeigte die
Breslauer Universität Tendenzen zur ständigen Weiterentwicklung.
Schon 1812 wurde überlegt, das Königliche Akademische Institut
für Kirchenmusik ins Leben zu rufen. Ein Befürworter dieses Planes
war der Berliner Komponist und Leiter der dortigen Singakademie
Carl Friedrich Zelter. Aufgrund organisatorischer Probleme - Schwie-
rigkeiten, die mit dem Ankauf von Musikinstrumenten und der
wissenschaftlichen Unterstützung verbunden waren, mit der Einrich-
tung der notwendigsten Unterrichtsräume und der Inbetriebnahme
der Bibliothek - begann der regelmäßige Unterricht erst am 19. Juni
18156. Sitz des Institutes wurde der Musiksaal der Universität und
die anliegenden Räumlichkeiten. In diesem Raum, der ursprüng-
lich eine Kapelle gewesen war, nämlich das Oratorium der
Lateinischen Marienkongregation, wurde der ehemalige Chorraum
in eine Bühne für Solisten und Musikensembles umgewandelt7.
So entstand ein Konzertsaal mit guter Akustik, in dem über 350
Zuhörer Platz fanden. Zum Jahreswechsel 1832/1833 wurde auf der
Bühne eine Orgel angebracht, ein Werk des Breslauer Orgelbau-
meisters Moritz Robert Müller (um 1803-1863). Von nun an kon-
nte der Orgelunterricht an Ort und Stelle geführt werden. Bekannte
Breslauer Musiker wurden Lehrer am neu gegründeten Institut,
darunter der Domkapellmeister und Komponist Joseph Ignaz
Schnabel und der Komponist und Organist an der St. Elisabeth-
Kirche, Friedrich Wilhelm Berner. Nach Berners Tod trat der heraus-
ragende Kenner des Werks von Johann Sebastian Bach und Gründer
der Breslauer Singakademie, Johann Theodor Mosewius (1788-1858)
an dessen Stelle8. Unter den anderen Musikern des Instituts ver-
dienen vor allem der Domorganist Joseph Franz Wolf (1802-1842)
und der hervorragende Organist Expedit Felix Baumgart (1817—
1871) Erwähnung9. Das Lehrprogramm umfasste damals Orgel- und
Klavierspiel, Gesangsunterricht sowie Vorträge zur Musikgeschichte

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