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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0217

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Agnieszka Gryglewska

Die Symbolik im Baudekor Breslauer Schulen um 1900

Die „Kunsterziehung" - Ein Konzept deutscher Pädagogik
und sein Einfluss auf die dekorative Gestaltung
von Schulgebäuden um 1900.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierte sich in Eng-
land eine Bewegung, die sich der Wiedergeburt des Kunsthandwerks
verschrieb. Die Ideen, die einst von John Ruskin formuliert worden
waren, lebten in den letzten zwanzig Jahren des 19. Jahrhunderts
u.a. Dank des Wirkens von William Morris und Walter Crane wie-
der auf. Aus England kommend drangen die Konzepte zunächst
nach Frankreich und Amerika, später nach Deutschland. Dort wurde
als eine der Strömungen dieser Bewegung vor 1900 unter dem
Anspruch: „daß die Kunst und die Freude an der Kunst nicht das
Privilegium einiger Bevorrechtigter sei"1, die Notwendigkeit einer
künstlerischen Erziehung von Kindern abgeleitet. Diese künstleri-
sche Erziehung sollte sich nicht nur in einer Reform des Lehr-
programms niederschlagen, sondern zugleich zu einer künstleri-
schen Gestaltung des schulischen Umfelds führen2. So wurde zu
Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in der Tages- wie auch der
Fachpresse, unter Betonung der gesellschaftlichen Bedeutung von
Kunst, eine dekorative Innengestaltung der Schulgebäude angeregt.
Im „Breslauer Gemeinde Blatt" schrieb man, sich auf Goethe und
Schiller berufend, dazu im Jahr 1903, dass das „Dasein mit ästheti-
scher Kultur" zu durchdringen sei, „um dem Leben Inhalt, Glück
und Schönheit zu geben", denn: „Wo die Kunst hintritt, da verbreitet
sie Glück und Sonnenschein. Indem sie in die Hütte des Armen
ebenso wie in den Palast des Reichen Freude und Schönheit bringt,
ist sie geeignet, die Gegensätze zu versöhnen, die Menschen näher
zu bringen und die großen sozialen Kämpfe zu mildern."3
Diese auf einem hohen künstlerischen Niveau ausgeführte, male-
rische und bildhauerische Ausgestaltung der Schulgebäude in
Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Aufgabe, im
Kind eine Empfindsamkeit für das Schöne, Phantasie sowie Verständ-
nis für Kunst und Natur zu wecken4. Auf diese Weise wurden Forde-
rungen, die von Alfred Lichtwark und anderen Begründern der
Heimatschutzbewegung formuliert worden waren und mit denen
diese seit 1896 eine neue pädagogische Richtung - die „Kunster-
ziehung" - propagierten, in die Realität umgesetzt5. Insbesondere
Conrad Lange (Tübingen), Wilhelm Spohr (Berlin) und Ferdinand
Avenarius (Dresden) unterstützten in ihren Publikationen diese Ideen.
Den größten Erfolg errang Alfred Lichtwark, dem es 1896 gelang,
in Hamburg die Gründung der „Lehrervereinigung zur Pflege der
künstlerischen Bildung" zu initiieren, die bereits ein Jahr darauf
eine Ausstellung zum Thema der Wandgestaltung in Schulen orga-
nisierte. Im Frühjahr 1901 eröffnete unter dem Titel: „Kunst im
Leben des Kindes" in Berlin eine ähnliche Ausstellung. Es folgte
im September ein in Dresden ausgerichteter „Kunsterziehungstag",
der der Diskussion von Methoden und Handlungsrichtlinien, „wie
die Kunst dem Volke zugänglich gemacht und wie das Volk zum

Kunstverständnis erzogen werden soll", gewidmet war. Es wurde
gefordert, „daß auch die Schulstube nicht an einen Gefängnisraum
erinnert, sondern einen freundlichen künstlerischen Eindruck auf
die Seele des Kindes ausübt". Dies sei mit der Verwendung ent-
sprechender Themen bei der Gestaltung möglich. So könnten „Dinge"
dargestellt werden, „denen die Kinder im Leben begegnen, oder
die in ihrer Phantasie eine Rolle spielen". Weitere Themen seien:
das „Stadt- und Landleben, die heimische und die fremde Landschaft,
die Geschichte, die Sage, die Bibel, das Volkslied und das Märchen,
die Tier- und die Pflanzenwelt"6.
Die ersten Schulen, die in Übereinstimmung mit dem Konzept
der „Kunsterziehung" gestaltet wurden, entstanden um 1900 in
Hamburg, Frankfurt / Main, Bremen, Berlin, Dresden, Leipzig, Chem-
nitz' und München sowie außerhalb von Deutschland in Zürich
und London". Einen großen Einfluss auf ihre Architektur hatte die
nach Entwürfen von Theodor Fischer 1895-1898 in München-
Schwabing errichtete Volksschule. Deren in Jugendstilformen gehal-
tenes Dekor mit Motiven aus dem Tierreich war nach Kartons des
Malers Otto Ubbelohde auf den Putz aufgetragen worden und „zu
einem Bilderbuche im Großen geworden". Die dekorative Gestaltung
deutscher Schulen um 1900 zeigte die Welt eines Kindes im Schulalter.
Sie erzählte in lehrhafter Form von glücklicher Kindheit, der Rolle
des Menschen in der Gesellschaft und im historischen Wandel.
Die Bilder sprachen in einer für Kinder verständlichen Sprache und
weckten deren Interesse. Die Themen hatten eine moralisierende
Bedeutung, unterstützten die Erziehung und, gemäß der Forde-
rungen Fedor Lindemanns, thematisierten sie auch die funktiona-
le Bestimmung sowie die Verbundenheit der Schulen mit der Stadt
bzw. dem Staat! Die am häufigsten angewendeten Motive ent-
stammten dem Pflanzen- und Tierreich. Anhand der Tierdarstellun-
gen war es möglich, in einer symbolischen Sprache Charakterzüge
der Schüler, guten Eigenschaften und Untugenden, so z.B. Arbeits-
fleiß, Gewissenhaftigkeit, Eitelkeit, Trägheit oder Ungehorsam, zu
veranschaulichen. Schnecke, Schildkröte und Mohn auf dem durch
Publikationen bekannten Portal der Schule in der Glogauer Straße
in Berlin, die 1898-1900 von Ludwig Hoffmann entworfen worden
war, waren Symbole für Langsamkeit, Faulheit und Schläfrigkeit.
Fuchsköpfe standen für Klugheit und Gescheitheit, Bienen für Fleiß
und die Sonnenblume für das schnelle Wachsen der Kinder. Im
Ergebnis der fruchtbaren Zusammenarbeit Hoffmanns mit solchen
Bildhauern wie Otto Lessing, Josef Rauch, Franz Naager, Georg
Wrba und Ignatius Taschner, entstanden Schulen, deren architek-
tonische Schroffheit und Funktionalität durch die Fröhlichkeit erwe-
ckende bildhauerische Dekoration abgeschwächt wird10.
Baudekor Breslauer Schulen um 1900
Der Einfluss neuer pädagogischer Theorien auf den architek-
tonischen Schmuck von Schulgebäuden ist in Breslau bereits für

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