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Zwierz, Maria [Hrsg.]
Breslauer Schulen: Geschichte und Architektur — Wrocław, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.38676#0056

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5. Porträt Lewin Benjamin Dohm
([in:] Jüdische Persönlichkeiten in
und aus Breslau, Breslau 1931, S. 8)
jüdische Jugend angekündigt wurde. Um dieser die gleichen Rechte
zu geben und sie mit der christlichen Jugend näher in Kontakt zu
bringen, „ist schlechterdings nothwendig, daß in Breslau eine ordent-
liche, aus einigen Classen bestehende Unterrichtsschule eingerich-
tet werde; bei dieser Schule sind vernünftige Lehrer anzustellen,
die ausser den Religionsgebräuchen, den Kindern vorzüglich reine
Moral, Menschenliebe und Unterthanen - Pflichten lehren, im Schrei-
ben, Rechnen, Sprachen, Geographie, Naturwissenschaft ect. Unter-
richt geben [...] bei dieser Anstalt brauchbare Lehrer anzustellt wer-
den, welche in Stande sind, die künftige Generation zu nützlichen
Bürgern des Staats zu bilden"5.
Diese Schule entstand tatsächlich schon im Jahre 1791 in Breslau.6
Nach Meinung von Historikern, spielte sie im Akulturationsprozess
der jüdischen Bevölkerung eine große Rolle, wobei die Wirkungs-
weite der Schule noch gründlicher untersucht werden muss. Es soll
auch betont werden, dass die staatlichen Behörden, genauer genom-
men die Provinzbehörden, den Anstoß zur Gründung dieser
Einrichtung gegeben und diese sehr weitgehend unterstützt hat.
Wir müssen uns auch dessen bewusst werden, dass sich das Konzept
der Schule parallel zur endgültigen Fassung der Vorschriften aus
dem Jahre 1790 entwickelt hat. Minister von Hoym arbeitete eng
mit den fortschrittlichen jüdischen Kreisen in Breslau zusammen,
die vor allem in der 1790 entstandenen Gesellschaft der Brüder ver-
einigt waren. Gerade unter diesen Leuten suchte man die Mitglieder
des Ende 1790 gegründeten Schulkollegiums aus, die mit Unter-
stützung von staatlichen Beamten und Lehrern des städtischen
Gymnasiums mit der Einrichtung einer neuen Schule begannen.
Die Erarbeitung des Stundenplans und des Bildungsbereichs, sowie
das Zusammenbringen entsprechend ausgebildeter Lehrkräfte
erwiesen sich als möglich aber nicht problemlos. Besondere
Emotionen riefen der Themenbereich und die Zahl der traditio-
nellen Religionsstunden hervor. Der Entscheidung, einen wesentli-
chen Teil der Unterrichtsstunden für Hebräisch und Talmudlehre
zu bestimmen, lag der Befürchtung vor einem Boykott der Eltern
zugrunde. Ein Kompromiss war umso nötiger, als die finanzielle
Versorgung der Schule nicht ausreichend gesichert war. Der zwei-
imdzwanzigtausend Taler betragende Schulfonds, dessen Zinsen
für die Unterhaltskosten der Einrichtung bestimmt waren, erwies
sich als zu knapp. Für einen Teil der Unterhaltskosten der Schule
mussten die Eltern aufkommen - ein Desinteresse ihrerseits an der

Ausbildung ihrer Söhne an der Wilhelmsschule hätte finanzielle
Probleme für die Schule bedeutet. Diese Befürchtungen waren durch-
aus begründet; denn gerade der Widerstand seitens der konserva-
tiv eingestellten Eltern war ein entscheidender Grund zur Schließung
der Schule im Jahre 1848.
Auf noch mehr Probleme und Kontroversen stieß die Einrichtung
der ersten jüdischen Mädchenschule in Breslau. In den frühesten
Kinderjahren gab es keinen Unterschied in der Erziehung von jüdi-
schen Mädchen und Jungen, erst im Alter von drei Jahren wurden
den Jungen die Haare abgeschnitten und die Mädchen mussten von
diesem Zeitpunkt an das „jichud"- Recht befolgen, das den Frauen
verbot, sich in einem geschlossenem Raum oder Haus zusammen
mit fremden Männern aufzuhalten. Dieses allgemein anerkannte
Recht behinderte stark die Bemühungen, ein Schulsystem für jüdi-
sche Mädchen ins Leben zu rufen. Hinzu kam noch ein spezifi-
sches Verständnis der Bildung, die man auf das Studieren der Thora
und auf gewisse religiöse Fertigkeiten beschränkte - zum Beispiel
das Vorlesen der Thora, wozu nur Männer das Recht hatten. Jüdische
Mädchen brauchten das Wissen und derartige Fertigkeiten nicht.
Die von den staatlichen Behörden eingeführte und vollstreckte
Schulpflicht umfasste jedoch auch Mädchen, dies löste Ausein-
andersetzungen und Konflikte aus.
Die 1801 in Breslau ins Leben gerufene Industrieschule für arme
jüdische Mädchen (in den ersten Jahrzehnten ihrer Tätigkeit wurde
die Schule vor allem von Mädchen aus dem jüdischen Waisenhaus
besucht) war zweifellos ein Ausdruck neuer, fortschrittlicher Tenden-
zen. Das Bestehen der Schule begründete man mit der Notwendig-
keit, jüdische Mädchen auf eine den Religionsgesetzen gemäße
Haushaltsführung vorzubereiten, da das Einhalten der Regeln des
koscheren Essens von ihnen ein großes Wissen und ausgeprägtes
religiöses Bewusstsein verlangte.
Die Gründung der zwei erwähnten Bildungsstätten veränder-
te das allgemeine Bild und den Charakter der Bildung unter den
Breslauer Juden nicht wesentlich. Um die Probleme zu verstehen,
die die Verleihung der Bürgerrechte an Juden durch das Edikt vom
11. März 1812 mit sich brachte, sollte man noch einiges über die
allgemeinen Tendenzen in der Schulpflichtverbreitung im preußi-
schen Staat erwähnen.
Im 19. Jahrhundert gelang es, nicht das Bildungs- und Schulwesen
in Preußen zu kodifizieren. Die Grimdsätze des Schulsystem oder
besser der Schulsysteme stützten sich zum größten Teil nicht so
sehr auf das ALR - Allgemeines Landrecht, wie auf sämtliche
Verordnungen, Auslegungen und Belehrungen des Ministeriums
und der Provinzbehörden. Die Anerkennung der Schulen und
Universitäten als „Veranstaltungen des Staats" im ALR (II, 12 §1)
änderte aber nichts an dem Problem, dass der rechtliche Stand des
Bildungswesens weder in der Zeit der Staatsreform, noch viele Jahre
später vereinheitlicht wurde8. Es galten provinzielle, stark histo-
risch verwurzelte und bedingte Gesetzgebungssysteme. Das Schul-
wesen konnte weder mit den Lehrbedürfnissen Schritt halten, noch
die Kontroll- und Betreuungsfunktion völlig erfüllen. Hinzu kamen
die nicht ausreichenden Möglichkeiten der lokalen Behörden und
Gesellschaften. All dies führte dazu, dass die Bemühungen des
Staates, diesen Bereich des gesellschaftlichen Lebens zu überneh-


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