86. Breslau, ehern. Elisabeth-Gymnasium, Arletiusstraße (heute: ul. Jana Dawida 1-3), Innenansicht der Aula, Archivfoto,'Foto: Firma Ed. van Delden, Heinrich
Götz (Universitätsbibliothek Breslau)
Turm und hohen Dächern unterschiedlicher Gestalt errichtet wurde,
erhielt eine reiche in Sandstein gearbeitete Dekoration in Formen
der Neorenaissance, die im Sinne des Jugendstils umgeformt wur-
den. Diese dekorativen Arbeiten wurden u.a. von der Steinmetzfirma
Carl Schilling in Berlin und Alt Wartau sowie von der Gemeinschaft
der Breslauer Bildhauer Wilhelm Künzel und Carl Hiller ausge-
führt23.
In das Architekturdekor des Breslauer Gymnasiums wurden
gleichermaßen christliche Inhalte aufgenommen wie auch Themen,
die sich auf die Philosophie und die Kunst des Altertums bezogen
und eine Verbindung zum klassischen Lehrprogramm herstellten.
Entwürfe für die Hauptfassade aus dem Jahr 1901 zeigen eine aller-
dings nicht verwirklichte Skulptur der Schutzheiligen der Schule,
der Heiligen Elisabeth aus Thüringen. Sie sollte die Balkonecke über
dem Haupteingang zieren24. Letztlich entstand nur der Sockel der
Heiligenfigur - ein Drache mit Fledermausflügeln, der in der christ-
lichen Religion als Versinnbildlichung von Irrtum und Heidentum
gilt25. An die christliche Tradition der Schule sollte die, nicht mehr
erhaltene, lateinische Sentenz: „Timor dei initium sapientiae"25, die
in der Aula angebracht war, erinnern. Sie spielte auf die Inschrift:
„Initium Timor Domini" an, die sich an der Fassade des alten
Elisabeth-Gymnasiums aus dem 16. Jahrhundert befunden hatte2.
Das Horatiuszitat: „Carpe diem" unter der Uhr an der östlichen
Fassade und ein Relief mit dem Gesicht eines Alten weisen sicher-
lich auf die Symbolik der Zeit und der Veränderung hin, ebenso
wie das Gesicht eines Alten und eines Jugendlichen im Fries des
östlichen Giebels. Das Profil des Philosophen Sokrates an der west-
lichen Fassade, der den Geist wissenschaftlicher Wissbegierde cha-
rakterisierte, könnte Idee und Methode der Lehre in einem deut-
schen Gymnasium zum Ausdruck bringen. Sokrates begriff es als
seine Mission, die Menschen an die Erkenntnis absoluter Werte her-
anzuführen. Hierfür wählte er die Methode des lebhaften Dialogs
als Lehrsystem2'.
Nach dem I. Weltkrieg wurde im Zwischengeschoss der Haupt-
treppe über der Gedenktafel für die Kriegsopfer ein Bild mit der
Darstellung der Helden der Ilias Homers - Hektor, streitet sich mit
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