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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1887

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Heft 9/10
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Muther, Richard: Die Anfänge der Genre- und Landschaftsmalerei, [2]: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein am 11. Januar 1887 von Dr. Richard Muther
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https://doi.org/10.11588/diglit.6902#0059

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Die MMgc W Scure- W Lan-NaDmlKei.

Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein am \\. Januar (887 von Dr. Richard Nuther.

(Schluß.)

ie eigentliche Entwicklung des Sittenbildes und
der Landschaft ging vielmehr innerhalb der
niederländischen Kunst vor sich.*) Schon von
den ältesten niederländischen Künstlern sind uns
selbständige Genre- und Landschaftsbilder erhalten oder doch
durch schriftliche Nachrichten bezeugt. Jan van Eyck
stellte in einen: kleinen, leider nicht auf uns gekommenen
Bildchen das Innere einer Badestube dar, in der nackte
Frauen mit dünnen Schleiern verhüllt aus dem Bade
stiegen, und schilderte auf einem andern eine Landschaft
mit Fischern, die eine Fischotter gefangen hatten. Petrus
Christus entwarf das jetzt im Besitze des Baron Oppen-
heim in Köln befindliche Bild, das den heiligen Eligius
als Patron der Goldschmiede darstellt, wie er in seinem
Verkaufsladen am Tische sitzt und sich nach einen: jungen
paare umwendet, das seine Eheringe bei ihm kaufen will,
— ein Werk, worin nur der Nimbus des heiligen noch
daran erinnert, daß wir kein eigentliches reines Sitten-
bild vor uns haben, und das uns direkt schon auf die
in: s6. Jahrhundert so häufig vorkommenden Gold-

schmied- und Wechslerbilder hinführt. Aus einer nur
wenig späteren Zeit stammt dann das erste uns erhaltene
wirkliche Genrebild, der im Leipziger Museum bewahrte
„Liebeszauber". In der Mitte eines engen, :nit reichlichem
^ausgeräth ausgestatteten Gemaches steht ein nacktes Mädchen,
nur mit einem dünnen Schleier verhüllt, an den Füßen
spitze Sandalen, neben ihr eine kleine Truhe, in der ein
Wachshcrz liegt; in der bfand hält sie Feuerstein und Stahl,
mit den: sie aus den: Steine Funken schlägt, die auf das
Herz hinuntersprühen. In der halb geöffneten Thür der
Hinterwand steht ein junger Mann in enganliegenden Bein-
kleidern und späht n:it vorgebcugtem Kopf in das Zinnner
hinein. Es ist eine magische Handlung, durch die :nan
nach mittelalterlichem Volksaberglauben in: Stande war,

die Person, deren Herz man zu gewinnen trachtete, in
Liebesleidenschaft zu versetzen. Sie bestand darin, daß man
auf ein Wachsherz den Namen des Geliebten aufschrieb und
es dann durch Funken schmelzen ließ (f. folg. Seite).

Ebenso stetig entwickelte sich in den Niederlanden die
Landschaft.*) Auf allen Bildern sind die Hintergründe
durch Architektur, Waldung, Gewässer und seitlich vor-
stehende Bergmassen belebt. Die Stadtarchitektur ist meist
Phantasieschöpfung, aber aus realistischen Motiven, Dorf-
bauten, Windmühlen aus Ackerfeldern u. dergl. zusammen-
gesetzt. Die Vegetation des Vordergrundes ist streng
naturalistisch und oft so minutiös durchgebildet, daß sie
durch kleinliche Ausführlichkeit in: Mißverhältniß zur Ge-
sammtkomposition steht. Faßt man den Gesammteindruck
zusammen, den ein altniederländischer Landschaftshinter-
grund auf das moderne Auge ausübt, so dürfte das Be-
fremdende, das kein unbefangen Urtheilender diesem Ein-
druck absprechen kann, hauptsächlich in dem Fehlen maler-
ischer Einheitlichkeit und Abgeschlossenheit, was wir moderne
landschaftliche Stimmung nennen, zu suchen sein. Es bleibt
ein Rest von Eonstruirtem und Schematischem übrig, der
unserm Gefühl persönlicher Naturauffassung in der Malerei
durchaus widerspricht. Während die Landschaften des
\7. Jahrhunderts in's Breite streben, lieben es die älteren
Meister, phantastische Gegenden voll steiler, schroffer Berge
darzustellen. Während die neueren Maler die Natur-
szenen als Ganzes zu fassen und wiederzugeben suchen, ist
der Blick jener auf die einzelnen Erscheinungen gerichtet.
Während die modernen Landschaften gewissermaßen mit
den: Auge des Kurzsichtigen gesehen sind, sind die älteren
mit ihrer unendlich fleißigen, fast mikroskopischen Ausführ-
ung der Einzelheiten gleichsam mit den: Blick des Fern-
sichtigen gemalt. Während die neueren Meister die Formen

*) vgl. Schnaasc, Niederländische Briefe, pag. 25—5^.

*) vgl. Rooses, „Geschichte der Malerschule Antwerpens" (deutsch
von Re der) Rap. VII: die ältesten Landschaften.


Zeitschrift des bayer. Runstgewerbe-vereins München.

*887. Heft 9 L *0 (Bg. *).
 
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