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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1887

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Heft 9/10
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Muther, Richard: Die Anfänge der Genre- und Landschaftsmalerei, [2]: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein am 11. Januar 1887 von Dr. Richard Muther
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https://doi.org/10.11588/diglit.6902#0060

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der Landschaft mehr subjektiv im Reflex ihrer eigenen
Stimmung sehen, in dem alle Einzelheiten verschwimmen
oder doch eine zum Ganzen stimmende Färbung erhalten,
sehen sie die älteren in hellster Beleuchtung, scharf Umrissen,
mehr objektiv. Der Einzige, der zuweilen wirkliche Stimmung
in die Landschaft zu legen weiß, ist Dirk Bouts. Mehr-
fach und nicht ohne Erfolg versucht er Beleuchtungseffekte,
so auf den, Lhristophorusflügel des Münchener Triptychons,
wo die aufsteigende Sonne, den fernen Hintergrund mit
ihren: Lichte über-
gießt, während die
im Vordergründe
sich verengendeFel-
senkluft,durch deren
Wasser der heilige
schreitet, noch im
halbdunkelliegt; so
ferner auf der „Ge-
fangennehmung
Christi" daselbst,
wo wir am Nacht-
himmel die abneh-
mendeMondscheibe
sehen, während die
Figuren von Fackel-
licht beschienen
werden.

Auf diesem Wege
schritten die Nieder-
länder vor, um
schließlich im \7.

Jahrhundert bei
den allerliebsten
Bauern- und Ge-
sellschaftsstücken,
den lebensvollen
wirthshaus- und
Gewerbeszenen,
den herrlichen See-
stücken und Land-
schaften anzulan-
gen, die für alle
Zeiten unerreich-
bar in der Aunst-
geschichte dastehen
werden. —
während jedoch
diese Entwicklung
der niederländischen
Aunst wiederholt
geschildert worden
ist, hat man bisher wenig beachtet, welche Stellung eigentlich
die Deutschen in der Geschichte der Genre- und Landschafts-
malerei einnehmen. Der deutschen Werke wollen wir daher im
Folgenden noch kurz gedenken. Nicht so schnell, aber ebenso
stetig wie in den Niederlanden, hat sich in Deutschland das
Genre und die Landschaft entwickelt, wenn inan auch, um
dies zu sehen, nicht die Tafelbilder allein zu Rathe ziehen darf.
Die Deutschen wagen in ihren Bildern nicht so schroff mit
dem Mittelalter zu brechen wie die Niederländer. Sie ent-

schließen sich nur schwer, die Landschaft genauer durchzu-
bilden, behandeln im Gegentheil noch lange Zeit ihre
Hintergründe ziemlich einfach, wenn sie nicht überhaupt
den mittelalterlichen Goldgrund beibehalten. Selbständige
Genre- und Landschaftsbilder zu malen, bot sich ihnen
keine Gelegenheit, da auch damals noch die deutsche Aunst
ausschließlich im Dienste der Airche stand. Auf die Alein-
künste, die Miniaturmalerei, den Aupserstich und den Holz-
schnitt, war das Genre und die Landschaft angewiesen.

Aber hier bemerkt
man mit Staunen
die große Erfin-
dungskraft der
deutschen Meister.

Unter den Leist-
ungen der Minia-
turmalerei sind be-
sonderszweiAIassen
von Werken her-
vorzuheben : die
Monatsbilder und
die Planetenbilder.

Fast jedem Werke
wurde ein Aalender
vorangeschickt und
zu jeden: Monat
ein Bild gezeichnet.
Im Januar sitzt
ein vornehmerherr
bei Tafel, umgeben
vom Hofgesinde,
den auftragenden
Dienern und den
Jägern, welche die
Hunde füttern. Im
Februar liegt in tief
beschneiter Land-
schaft ein Meier-
hof; in dem Hof
sehen wirdenTau-
benschlag und den
Schafstall, die hüh-
nersteige, Vögel,
welche Arümchen
suchen, die frierende
Magd und ein
Schwein, während
wir durch die offene
Thür in das Zim-
mer des Bauern
blicken, der neben
seiner spinnenden Frau an: Gfen sitzt. Im März sind die
Leute mit Pflügen auf den: Felde beschäftigt, wobei der
Hausherr mit seiner Familie zusieht. Im April zieht die
vornehme Welt paarweise in's Freie, ein verliebter älterer
Herr mit seiner Dame an der Spitze; Hoffräulein mit ihren
Schooßhündchen sitzen im Grase, der Narr bringt einen
Frosch; die Bäume schlagen aus, und jenseits des Flusses
tauchen die hohen Thürme einer Stadt aus dem Dunst
hervor. Im Mai zieht die heitere Gesellschaft zu Pferde

„Liebeszauber" (zu Seite 53).

(velgemälde (aus dem J5. Jahrhundert) im Museum zu Leipzig; nach Essenwein's kulturhistorischem Bilderatlas.
 
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