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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0036

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Kileralur.

Ruriäsckau.

„Doktors". dem derbtüchtigen Schank-

* Novellen von Carl Busse.

Es ist ein Elend in unserer Zeit
um die künstliche Kunst. Wie seltcn
sind Werke, in denen unmittelbares
Leben atmet, gegenüber Erzeugnissen,
in denen alles Ursprüngliche unter
der Herrschast literarischer Einslüsse
verschwindet. Glücklich der 5tritiker,
der diesen Unterschied nicht sühlt, er
wird als ein gerechtcs und wohl-
wollendes Gemüt allerorten gepricsen
werden; denn bei dcm fortgcschrittcnen
Stand unsrer schriftstellcrischen Technik
wird er selbst an der kleinsten Be-
gabung noch allerhand Tausendkünste
zu loben findcn. Wer aber für alle
Geschicklichkeit wenig übrig hat, wo
er nicht wirkliches selbständiges
Leben vcrspürt, der wird bald als
ein erbitterter Massemnörder hinge-
stellt werden, und wenn's auch nur
lauter ausgestopfte Bälge sind, die
er mit seinem kritischen Messer aus-
schnciden muß.

Der vielgerühmte Lyriker Carl
Busse ist auch eins jener Buch-
talente, in deren Werkcn das vom
Autor Gelescne vicl stnrker nachwirkt, als
das Selbsterlcbte, wenn man auch das
Sclbsterleben im allcrweitesten Sinne
' verstehen will. Wie iu seincn Ge-
dichten, tritt das in scinen Novellcn
zu Tage. Ja, die Titelerzählung seines
Novellenbandes „Jn der Grenz-
schenkc" (Bcrlin W., Verlag von
Albert Goldschmidt) schreckt mich ge-
radezu ab durch dic gänzlich roman-
hafte Seele, die in ihr spukt. Busse
behandelt dort die alte Geschichte von
dcr kernigen Bauerndirn, dic sich
durch die „scinere" Art eines stu-
dierten Hcrrn Vcttcrs eine Zcitlang
blcnden läßt. Hier gchn ihr die
Augen über die innerc Hohlhcit
nnd Nohheit deS Bürschlcins bald
auf, und sie findct sich zu ihrcm
srüheren Bewcrber, eincm Bruder des

wirt Witold, zurück. Wie läßt nun
Busse diese seine deutsch-polnischen
Bauern empfinden, und wie läßt er
ihre Empfindungen laut werdenl
Jch will, um mich deutlich zu machen,
ein paar scheinbare Kleinigkeiten her-
ausgreifen. Da heißt's gleich auf
Seite „Leg mir mein Gebetbuch
zurecht, Witold, mein Kind", „Hast du
den neuen Landrat gesehen, Witold,
mein Kind?" Muß man auf die
Unnatur dieser wiederholten pathe-
tischen Anrufung „Witold, mein Kind"
im Munde einer alten Bauernwirtin
denn erst aufmerksam machen? Jch
habe in engen Beziehungen zu deut-
schen und russischen Landleuten ge-
standen, solch feierliche Anrede hab
ich aber bis jetzt nie bei ihnen, sondern
nur von Ahnfrauen auf der Bühue
gehört.

Aber weiter — „Und mich ge-
schlagcn", sagte Helenka ....

„Als hätte er selbst den Schlag
bekommen, taumelte der Bursche zu-
rück." Jst das Leben oder ist's unsere
traute Koulissenwelt? Ja freilich,
unsere Schauspieler taumeln bei jcder
Ucberraschung zurück, als hätten sie
cinen Schlag bekommen. Gewiß, die
papiernen Bösewichter und Tugcnd-
helden in dcn Romanen thun
desgleichen. Aber man versetze sich
diesen Vorgang in die leibhaftige
Wirklichkeit, und man wird sofort das
Possenhaste, das lächcrlich Unwahre
in diescm Gebahren herausfühlen.
Uud hier taumelt auf diese Weise
noch dazu ein krästiger, junger Bauern-
bursch. Aus welchem Grunde? Weil
scine Geliebte von ihrem betrunkcnen
Vetter Schläge bekommen hat! Gar
so unerhört sind solche Vorgänge selbst
im Leben der deurschpolnischen Grenz-
bcvölkerung doch wohl kaum, daß
Burschcn beim Erzählen davon zu-
rücktaumcln müssen, als hätten sie
r. Gktobcrkcst tyoi
 
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