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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märheft 1902)
DOI Artikel:
Schumacher, Fritz: Denkmalkunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0544

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VLnknialskrmst.

Der Zufall hat :nich cinmal in einem Vorstadttheater in Genua
ein gar rührseliges Melodram mitanhören lassen. Es hairdelte sich
um ein junges früh verwaistes Küustlerkind, das uach den ersten eigenen
Erfolgen sich im hastenden Trieb nach Erwerb schnell zu Grunde richtet;
und erst im lehten Akt, ü la Cameliendame, erfuhr der Zuhörer, was
denn eigentlich das Motiv gewesen war zu dem unbegreiflichen Treiben:
der kindlichen Phantasie dcs Mädchens hatte im Leben nur ein Jdeal
vorgeschwebt, das Jdeal, seinen im Elcnd gestorbenen Künstler-Eltern
ein unerhürt großartiges Denkmal zu setzcn. — Das ist gewiß ein echt
italienisches Motiv, und unwillkürlich wird unser innerer Blick gelenkt auf
jeue unübcrtrefflichen Treibhausbeete persünlicher Eitclkeit, welche die mo-
dernen Jtaliener ihrc Camposanti nennen; gewiß, ein deutlich lokaler Zug
liegt vor — und doch verkörpert uns dieses gesucht uud sentimental er-
scheinende Motiv eine Regung, welche uns die Geschichte der Kunst als einen
Grundzug im kindlichen Empfindeu der Menschheit erweist. Jch sage:
als einen Grundzug, denn je wciter die Kultur sich eutwickelt, um so
mehr andcre Triebe treten neben diesem Trieb in den Vordergrund und
verwischen ihn ; aber eben wenn wir zurückblicken iu die Kindheit der Völker,
so können wir deutlich erkeuuen: zwei Jmpulse sind es stets, die zum
bildendcn Schaffen anregen, der Jmpuls, sich selber das Leben angenehmer
oder sicherer zu gestalten und der Jmpuls, Andern Denkmäler zu setzen.

Jener „Andere" ist zunächst ein Unbekannter, man sieht ihn nicht,
man fühlt ihn nur, mau nenut ihn Gottheit; und dann kommen
Einzelne, die scheinen ein Stttck Göttermacht auf Erden zu besitzen, man
nennt sie Fürstcn; und Andcre scheinen in ihren individuellen Thaten
Gottähnlichkcit zu zeigen, man nennt sie Helden; — einige aber schweifen
nicht erst in die Ferne, sie sehen das Verewigungswerte im engen
Kreise ihres eigcnen Geschlechts, vielleicht ihrer eigenen Person, und es
entstchen die rein individucllen Denkmäler, die Familien- und Grab-
Monumentc.

Annstwart

INärzdcft 1902

50s —
 
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