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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1902)
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Göhler, Georg: Die Musikgeschichte und Lamprechts Geschichtstheorie, [1]: allgemeines. Die ältere Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0499

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vie svlusikgescmckle unci Larnpreckls Gesckicklstkeorie.

1. Allgcmeines. Die älterc Zeit.

Vor wenigen Monaten ist durch R. Gärtners Verlagsbuchhandlung
in Berlin unter dem Titel ^Zur jüngstcn deutschen Vergangen-
heit" der erste Ergänzungsband zu Karl Lamprechts Deutscher
Geschichtc ausgcgebcn wordcn. Ta der berühmte Leipziger Historiker in
diesem Bandc die Bctrachtung dcr künstlerischen und philosophischen Ent-
wicklung der ncuestcn Zeit untcr dem Gesichtspunkte seiner bekannten
allgemeinen Geschichtstheorie unternimmt, so ist zu erwarten, daß eine
Prüsung dcs Ergcbnisses interessante Anregungen gcben muß. Versuchen
wir sie zunächst sür das eine Gcbiet dcr Musik.

Die gesamte gcschichtliche Betrachtungsweise Lamprechts beruht auf
der Unterscheidung von wirtschaftlichen und pspchologischen Entwicklungs-
stufen dcs ganzen Volkes, die maßgcbend für das gesamte Lcben, also
politisch wie kulturgeschichtlich die bestimmeuden Faktoren sind, aus dcrcn
innerer Kraft allc üußeren und inneren Ercignisse erklärt werdcn können
und dcrcn gcgcnscitige Befruchtung das entstchen läßt, was wir das
Gcsamtbild einer Zcit nennen.

Eine solchc Gcschichtsauffassung setzt die Bedeutung der Einzel-
persönlichkcit notwendigcr Weise bedeutcnd zurück, da sie kcincn Platz
für Hcldenthatcn, für Einzcllcistungen hat und den großen Mann nur als
vollendeten Ausdruck ciner geistigen oder entschlossenen Vertreter einer
wirtschaftlichen Macht brauchen kann. Für die Kunstgeschichte schcint
diese Theoric also so unfruchtbar wie möglich zu sein. Lamprecht hat
sie trotzdem in den bisher erschienenen Bänden seiner deutschen Gcschichte
vornchmlich auf Dichtkunst und bildende Künste angewandt und macht
in dem oben genannten Werke den Versuch, in einer ganz knappcn
Ucbersicht über die Entwicklung der Musik (vom Mittelaltcr ab) scinc
Grundanschauungen auch hier mir dem vorhandenen Thatsachcnmatcrial
in Einklang zu bringcn.

Jch kann, ehe ich auf diese Darstellung eingehe, nicht vermeidcn,
Lamprccht cinen Einwand zu machen, den cr gewiß oft genug schon
gchürt haben wird. Die Gesamtanlagc seiner Entwicklungsstuscn ist ja
von so tiefem geschichtlichen Sinn cingegcbcn und so groß und sichcr,
daß ihre Anerkennung aus dem Mundc eincs Laien fast lächcrlich wirkcn
muß. Aber eben weil durch diese Betrachtungswcisc offcnbar so cnorm
Viel crrcicht ist, wäre zu erwägcn, ob nicht cine Ucbcrspannung dcs
mächtigen Grundgedankcns das gcschichtliche Bild hie und da etwas ver-
schieben könne, und zwar vor allcn Tingcn der künstlcrischcn Einzel-
persönlichkeit gegenübcr.

Lamprechts Theorie beruht, wie gesagt, auf dcr Annahme ver-
schiedener Stufcn der geistigen Entwicklung der Masse des Volkes. Er
kommt dabei vom symbolischen bis zum subjcktiven Geistesleben in so
überzeugender Wcise vorwärts, daß es vcrfehlt wäre, das ganze Gc-
bäude eine Konstruktion eincs Gelehrten zu nennen. Aber sollte man
nicht darauf Rücksicht zu nehmcn haben, daß, wie Reste der ältesten
Formcn dcs Gcisteslebens, bcsondcrs in den am wenigsten sortgeschrittenen
Krcisen, gcblicbcn sind, genau so bci den am höchsten cntwickelten Jndi-
viducn die Vorwcgnahmc odcr cine verfrühte Entwicklung gewisscr

2. Februarheft 1902

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