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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1902)
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Batka, Richard: Carmen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0403

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Larrnen.

Jm Petersschcn Verlag ist soeben ein schmucker dcutscher Klavicr-
«uszug von ,Carmen" erschienen. Bisher mußte man sich mit dem
zweisprachigen. teuren und schlecht gestochencn des Pariser Verlegers
Choudcns begnügen. Nun hat G. Kogel sehr gewissenhaft die musikalische
Redaktion besorgt. Eine Historische Einleitung von Rudolf Schwartz und
ein Bildnis des Komponisten ist beigcgeben. Bliebc höchstcns noch eine
Andeutung der Jnstruineirtation und ein besserer Einklang zwischen Text und
Melodie zu wünschen, da die übliche Hoppsche Uebcrsetzung darauf zu wenig
Rücksicht nimmt. Schon die französische Betonung der spanischen Namcn
Carmen, Miraöla u. s. w. auf deu letzren Silben wirkt befremdlich, und
die Beseitigung mancher störenden Dcklamationsfehler durch vorsichtige
Retouchcn hätte ich dankbar begrüßt. Bizcts Meisterwerk so vollkommen
als möglich einzudeutschen, sollte keine Mühe uns verdrießen.

Bckanntlich ist die Oper bei ihrem ersten Erscheinen in Paris durch-
gcfallen und dort erst auf dem rlmwcge über Deutschlaud zrr Ehren ge-
langt. Das deutsche Publikum jubelte ihr zu, aber fast die ganzc Kritik
von Hauslick bis zum strcngen Wagnerianer verhielt sich ablehnend.
Selbst Hugo Riemann licß sich noch in den achtziger Jahren keine Gc-
legenheit entgehn, das Werk herabzusetzen, nur die Allerbesten der Zeit
haben damals seinen Wcrt begriffen. „Endlich wieder eincr, dem etwas
einfällt", soll Wagner gesagt habcn, Brahms liebte Carmen ungemein,
und Hans von Bülow focht dafür mit Fcuer und Schwcrt, will sagcn
mit Wort und Taktstock. Großes Aufsehen erregte dann f888 Nietzsches
Turiner Brief, worin er „Carmcn" gegen Wagner ausspicltc, was da-
mals ziemlich allgcmcin als „Wahnsinn" angesehcn wurde. Er selbst
hat es dann bald bricslich allcrdings wieder abzuschwächen, als bloßcn
polcmischcn Tric hinzustellen vcrsuchl, abcr wie ernst gemeint seine Be-
wunderung für die Opcr war, bewcist dcr von ihm angelegte, mit inter-
essanten Glosscn verschenc Klavicrauszug, dcr auf Villa Silberblick zu
Weimar sorgsam bchütet wird. Und ziehen wir von scincm Carmcnlob
die Ucbcrtreibungen ab, dic sich aus dem Eifer dcs geflissentlichcn Wider-
spruchs erklären lassen, so blciben immer noch cinige sehr zutreffende
Einsichten übrig. Gerade damals war es an dcr Zeit zu sagen, daß
jeder, dem dic Gabc eigenen Schaucns und lebensvollen Gestaltens
eignet, Anspruch auf dcn Namen eines Künstlers habc, daß es außer
dem für allcin scligmachcnd geltenden Wege Wagners noch andere Wege
zur Kunst gebe, daß der von Bizct cingeschlagene zum musikdramatischen
Jdeal der romanischcn Rasse führe. Wenn Schwartz in seinem Geleit-
wort sagt, über die Musik Vizets habe es keine Meinungsverschiedenheiten
gegeben, so irrt er gründlich. Nietzsche hat in der That als einer der
ersten das feine und sichere Gefühl für die Gcnialität der Einfälle, den
Reichtum der Erfindung (der durch die Aneignung einiger spanischen
Volksweisen nicht entkräftet wird), für die innere Lebensfülle und die
wunderbarc Grazie der Ausdrucksweise bcsessen und uns kraft seiner
Autorität allmählich suggeriert. Nun getraute man sich Klagcn über die
von Bizet angeblich vcrübte „Vermischung des Opern- und Operetten-
stils" kurzweg mit der Mahnung: „sucht davon erst die Regeln auf"
zu bcantwortcn. Heute sind solche Vorurteile glücklich übcrwunden,

2. Ianuarbeft zzoe
 
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