Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1902)
DOI Artikel:
Bruiningk, M. C.: Volksbücherhallen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0402

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Noch einige Zeilen über die Lesehallen, deren Bedeutnng leidcr
noch gar nicht genügend anerkannt wird. Jn einer Großstadt besonderK
sind diese mit einer Bibliothek verbundenen Lesesäle von unschätzbarem
Wert, nicht nur sür alle Wissensdurstigen, die neben den üblichen Zei-
Lungen und Zeitschristen noch eine Anzahl Fachblätter finden, welche
der Einzelne sich nicht halten kann. Sie ermöglichen auch einer Menge
von Personcn, denen zu Hause die Ruhe zum Leseu fehlt, die Möglich-
keit, sich diesen Genuß ohne Kosten zu verschaffen. Es ist wahr, daß
viele Besucher nur hinkommen, um Witzblätter zu lesen, um sich vor
Wind und Wetter zn schützen oder gar, um heimlich ein Schlüfchen zu
thun. Das sind meist in der Gegend Beschäftigte, die zu weit wohnen,
um über Mittag nach Hause zu gehen, ferner, und zwar hauptsüchlich,
Arbeitslose. Wür' es denn besser, daß diese Leute sich auf dcr Straßc
oder in Kneipen herumtrieben, wie sie's in Ermangeluug der Lesehallen
größtenteils thun müßten? Selbst wenn an kaltcn Wintertagen die
Obdachlosen, die in dem warmen Raum einen Platz zum Ausruhen
suchen, uns bedenklich zahlreich vorkommen, sollen wir ihnen diesen Platz
verweigern? Die Volkslesehalle ist vor allem eine gemeinnützige Anstalt,
sie kann daher auch ein wenig von ihrem eigentlichen Zweck abweichen,
ohne an Ansehen zu verlieren. Der Bibliothekar wird natürlich ein
wachsames Auge haben müssen und solche, dic die Bestimmung der
Lesehalle durchaus nicht begreifen können, unter Umständen darauf auf-
merksam machen und, wenn sie stören, sogar ausweisen müssen. Die
große Mehrzahl aber läßt sich von dem dort herrschenden Leseeifer an-
stecken, gerade aus den sogenannten heruntergekommenen Subjekten wer-
den nach mancher Beobachtung später fleißige Lescr. Jch wciß einc
ganze Reihe von Männern, denen die Lesehalle als Zuflucht geholfcn
hat, ihr Leben umzugestalten. Jch glaube, daß vom sozialen Stand-
punkt eine, allerdings mit cinem für gewöhnliche Ansprüchc genügendcn
Bücherschatz verbundene Lesehalle nicht geringeren Nutzen gewährt,
als cine noch so gut ausgestattetc Bücherhallc.

Jn Amerika sind Bücher- und Lesehallen mcistens vcrbundcn. Da
sie dort sehr gut geführt wcrdcn, so können sie uns in vielen Dingcn
als Vorbilder dienen. Jenseit des Ozeans bringen die kleinsten Städte
die Mittel für solche Jnstitutc auf. Sollte es nicht an der Zeit sein,
daß Deutschland, das in Bezug auf Bildung eine so hohe Stufe erreicht
hat, auch in dieser Sache etwas rühriger würde? Wo haben wir die
Carnegies, dic für dic Errichtung einer einzigen Bibliothek bis zu fünf
Millionen schenken? Fehlt es wirklich nur an Mitteln oder sind wir
noch nicht zu der Erkenntnis vom ungeheuren Werte der Bücher auch
„sürs Volk" gekommen? Welch eine Flut von geistigem Jnteresse, die
sich jetzt z. B. im Kolportageromane beschmutzt, kvnnte sich an guten
Büchern befruchten, lehrte man unserm Volke in diescm Sinne das Lesen!
Und die Geldmittel dazu? Es war ja erst jüngst im Kunstwart davon
die Rede, wie große Summen jührlich die Denkmalsscuchc verbraucht und
wie wcnig Gutes sie zurückläßt. Gewiß, Volksbücherhallen könnten auch
Denkmäler sein, und was für welche! m. L. von Bruiningk.

Aunstwcirt
 
Annotationen