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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1901)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0027

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Lsse VlLtter.

Zus clen 8ckris1en von paui äe Lagarcle.

Vorbemerkung. Den neucn Lesern, die heute zum ersten Mnle ein
Kunstwartheft in dic Hand nehmcn, sei bemerkt, daß unsre Zcitschrift an diescr
Stelle Nooellen oder Erzählungen, Gedichte oder Mte aus Dramcn darzubieten
pflegt, alte oder neue, wenn sie uns nur gemüß den Ausführungen unsres
heutigen Leitaussatzes lcbensvoll erscheinen. Was unsre Bilder fnr die
bildende, unsre Notenbeilagen sür die tonende Kunst sind, das sollen die „Loscn
Blätter" für die Kunst des Wortes sein. Aber wir verstehen den Begriff „Kunst
des Wortes" im weiteren Sinne. Auch die Mitteilungen bedeutcndcr Menschen
gehören uns dazu, sofcrn ihre Gedankcn von der Phantasie gestaltet, von der
Empfindung beseelt, mehr Kunst sind, als Wisscnschaft. Deshalb ließen wir
schon Nietzsche aus seincn Aphorismen sprechen, deshalb Hcbbel aus seincn
Briefen, deshalb Novalis aus seinen Fragmenten, deshalb Naumann aus seinen
Andachten und deshalb nunmehr Paul de Lagarde. Und so wcrdcn's wir
weiter halten ohne jede Rücksicht auf irgend welche Partci, damit bei nns
wenigstens, abscits vom politischen und sozialen Kampfe, nach Möglichkcit jcde
wirkliche Kraft beachtet werde.

Der Kunstwart hat schon vor bald zehn Jahren (Kw. V, 8) Lagardes
unmittclbar nach seinem Tode gedacht. Dieser Mann ist nie so rccht im weitercn
Kreise bekannt gewordcn und wird es wohl kaum noch werden. Das liegt in der
Natur seines Werkes: als Orientalist und Sprachforschcr dringt cr über die
Fachgenossen nicht hinaus; als Politiker konnte er eine unmittelbare Wirkung
nur auf die unmittclbare Gegenwart ausübcn. So ist vieles in seincn Schriften
veraltet und anderes längst Gemeingut dcr Gelchrtsn gewordcn. Aber es blcibt
doch noch ein gut Teil übrig: Lagarde der Erzieher. Das Wort Spezial-
pädagogik war damals noch nicht geprägt: es bezeichnct gut sein Werk nach
dieser Seite. Er gehörte zu dcn Ersten, die die Persönlichkcitsforderung vvn
neuem erhobcn, die fich gegen die Aneignung des toten Wifsens auf Schulcn
und Hochschulcn mit aller Entschiedenheit ivandten. Nur, was das Indiuiduum
sich anfügcn, nur was es aus eigcner Anstrengung in seincm Werdcgang ver-
folgt hat, in unserer Spracho: nur, was Lebenswerte hat, ist ihm er-
werbenswertes, nützliches Wissen. tlnd zu dieser selbstündigon Aiicignung
des Wissenswerten gehört eine Erziehung, die nicht auf Gleichmacherei aus-
geht, sondern die Keime der in jedem Menschcn angelegten, ihm allein zu-
erteilten Eigenart pslegt und zum Wachstum bringt. Dicsem einen Zwcck opferte
Lagarde unbedenklich alle Vielseitigkeit sogenanntcr „Bildung" und alle quan-
titatio eingeschützten Kenntnisse.

Wir zeigen Lagarde nur von diescr einen Seite, die für uns die wich-
tigste ist. Dabei lassen wir nicht nur scine speziell wissenschaftlichen Leistungen
außer Betracht, wir kümmern uns auch nicht um den Politiker und Polemikcr.
Man weiß, welchen hestigen Vorwürfen er sich auf diesem Gebiete aussetzte,
und wenn man die „Deutschcn Schriften" von Anfang bis zu Ende licst, so
überkommt einen ob all dieser Kampflustigkeit doch manchmal ein recht un-
angenehmes Gefühl. Das mag in der Zeit gelegcn haben, auch in dem Gefühl
des Abstandes, der ihn von viclcn seiner Zeitgenossen trenntc. Freilich, würd'
er sich in dcr Gegenwart wohler fühlen? Manches, was er herbcischntc, ist ge-
kommen, abcr auch anderes, was ihm damals schon bedenklich schicn (wir er-

Aunstwart
 
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