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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1901)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0028

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innern nur cm das Bercchtigungswesen der höheren Schulen und an den ser-
vilismus noch oben hin) ist schlimmer geworden. Ein zweitcr Lagarde sür die
unmittclbare Gegenwart thäte uns allen gut. Wir dürfen das sagcn, ohne das;
wir daran dächten, alles was er sagt, „unterschreiben" zu wollen. Denn diese
Zitate bedeuten heute so wenig wie sonst eine Parteinahme.

Ueber die Kunst im besonderen hat sich Lagarde nicht eingehcnder ge-
äußert; Kenntnisse, Liebe und Verständnis dafür besatz er; das geht aus zahl-
reichen kleinen Bemerkungen hervor. Sein Ttil drückt den Gedanken scharf und
klar aus. Das; cr sich manchmal zu schöner Höhe erhebt, können unsere Proben
beweiscn. An andcrn Stellcn überwiegen die endlosen, schwer übcrsehbaren
Sätze und die oft gar zu zornigen und in ihrer Wildheit ungcrcchten Epitheta.

Außer eincr Novellc in Versen „Am Strande" verdanken wir Lagarde
noch ein Bändchen „Gedichte", aus dcm cine Probe folgt. Als Ausdruck eines
Gedankens sind sie oft bedeutend; die Form ist nicht immer fehlerfrei und gc-
schmackvoll. lleber sein Leben orientiercn die sachlichen, liebevoll und bescheiden
geschriebenen „Erinnerungcn" von der Hand seiner Gattin Anna de Lagarde.
Die folgenden Proben sind mit Ausnahme der Gedichte sämtlich dcn „Deutschen
Schriften" (-z. Abdruck, 420 S., 4,so Mk.) entnommen. Alle genanntcn Bücher hat
Lüder Horstmann (Dieterichsche Universitätsbuchhandlung) in Göttingen verlegt.

*

Jeder Mcnsch ist einzig in seiner Art, dcnn er ist das Resultat eines nie
wieder vorkommenden Prozesses einziger Art: darum ist schlcchthin jeder Mensch,
der geboren wird, der Anlage nach eine Bcrcicherung seincs Geschlcchtes und
seiner Nation, und darum gibt es für jeden Menschen nur Eine Bildung, die
ganz speziell auf ihn berechnet, und deren Aufgabe sein muß, aus ihm das zu
machen, was irgend aus ihm gemacht werden kann. Lw gefaßt ist Bildung
eine fortwährende Vermehrung des geistigen Wohlstands der Nation. Lluf sie
hat jeder ein Necht, der geboren wird: ein Volk im wahren Sinne des Wortes
ist nur denkbar als die Gemeinschaft so gebildeter Menschen, deren jedcr an
seinem Platz zufrieden scin wird, weil er sein Leben darauf einrichtet, ihn aus-
zufüllcn, und weil er darum ihn liebt, eine Gemeinschaft von Menschen, welche
nicht in Stände zcrsallen, wcil sie gar nicht nach dem Matcriale, mit dem sie
arbeitcn, und dem äuszcrlichcn Ergcbnisse ihrer Thätigkeit, sondern nur nach
der Treue beurteilt werdcn, mit der sie an dem ihnen zuerteilten Stofse das
selbst werden, was sie werden könncn. Bildung ist jedem zugänglich, der den
emzigen Satz festhält, daß er jcden Abend besser zu Bette gehn mutz, als cr
Morgcns ausgestandcn ist.

Diese Anschauung der Sache setzt fortdauernde geistige Arbcit voraus,
und darum hat sie keine Aussicht aus weiterc Verbreitung. Aber Nationen
bestehn nicht — die entgegengesetzte Ansicht ist freilich die herrschende — aus
Millionen: sie bestehn aus den Menschen, welche sich der Ausgabe der Nation
bewutzt und darum imstande sind, vor die Nullen zu treten und sie zur wirken-
Zahl zu machen: aus diesem Grunde genügt es, wenn die Besten des
deutschen Volkcs die eben ausgesprochene Ansicht von der Bildung haben, und
n>enn der Staat, der doch nur in den Händen der Besten sein soll, sie zur Richt-
schnur seincr Einrichtungen nimmt.

Bolksbildung sehe ich nur in einem germanisch, das heitzt aristokratisch
gegliederten Staatswesen sür möglich an. Jch verstehe frcilich untcr Bildung
etwas anderes als den Bcsitz eincs Konversationslexikons. Lesen, schreiben,

Gktoberbeft zyvt
 
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