Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1902)
DOI Artikel:
Batka, Richard: "Gebrauchsmusik"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0354

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Gebraucksrnusik."

Es ist im Kunstwart schon oft vom Gutenstubenton die Rede ge-
wesen, auf den unser Kunsttreibcn und Kunstempfinden gestimmt ist und
der nicht selten zu einer hochmütigen Verachtung jener Kunsterzeugnisse
führt, in denen nicht die wirklich oder angeblich höheren Jdeen und
tieferen Empfindungen zum Ausdrucke kommen. Das Gebiet der Musik
macht da leider keine Ausnahme. Gewiß, es ist etwas Herrliches und
Ehrenwertes, die Kunst daheim als Heiligtum zu pflegen und andachts-
voll zu ihren Gipfeln aufzuschaun. Aber ein Gebirge besteht nicht bloß
aus Bergspitzen, und die Höhe allein ist's nicht, die ihm Reiz und
Schönheit verleiht. Es gibt eine Kunst, die erklommcn sein will, zu
der wir aus der Ebene des Normalempfindens mit müchtigem Schwung
der Seele uns emporheben müssen. Und es ist gut, wenn wir das recht
oft versuchen, sonst erlahmt die Schwungkraft und wir kleben schließlich
am Boden. Aber es gibt auch eine Kunst, die nicht in blauer Ferne
über uns thront, sondern sich freundlich in unser Alltagsleben hernieder-
senkt, nicht etwa bloß um es äußerlich aufzuputzen, sondern um es inner-
lich zu durchleuchten und um zu lehren, „Arbeitswochen in Sonntags-
stimmung zu leben". Diese Kunst, mcine ich, mird heutzutage viel zu
wenig gepflegt und beachtct, vielmehr wird, sobald das eine Extrem
mißbehagt, lieber gleich in das andere Extrem, in die seichteste „Unter-
haltungsmusik" gesprungen.

Nun läßt sich freilich nicht leugnen, daß vielen unserer großen
Meister ein weltflüchtiger Grundzug eignet, der sie die Berührung mit
dem Lebeir, das sich gar häufig unerfreulich gcnug für sie gestaltcte, eher
meiden als suchen hieß. Aber verfehlt ist es, wenn kleinere Geister ihr
bescheidenes Talent zu adeln glaubten, indem sie es gleich diesen Genien
am liebsten in jene höchsten Negionen führten, in denen sich's doch aus
eigener Kraft nicht halten konnte. Jm Haushalte des Lebens gibt's
eincn Bedarf nach allen Zwcigen und Gattungen der Kunst. Wir haben
eine herrliche, unerschöpfliche „große" Musik, voll gewaltiger Probleme
und wunderfeiner Stimmungen, aber dic gute „Gebrauchsmusik", die
auch uns feiner organisierte Leute durchs tügliche Leben veredelnd be-
gleiten könnte, steht der Menge nach in keinem rechten Verhültnis dazu.
Der Mann aus dem Volke ist besser dran. Er schlägt seinen Licderhort
aus und findet dort Musik und Poesie für jeden wichtigeren Augenblick
seines Lebens. Freilich, sobald er reine, sobald er „absolute" Musik
wünscht, steht's schon übel. Wohin er greift, sieht er elende Schund-
fabrikate. Am besten ist die liebe Kinderwelt versorgt: der Familiensinn
unserer hervorragendsten Komponisten hat für sie eine köstliche Literatur
geschaffen, die sozusagen jedem Schritt und jeder Gefühlsregung der
Kleinen folgt und aus der zuweilen auch noch die Alten gerne schöpfen,
weil für sie nichts ordentliches da ist. Sogar der ungeselligste unserer
Lyriker, der hochflicgende Jndividualist Nichard Strauß bekommt sogleich
festen Boden unter die Füßen und in die Sprache warmen, keineswegs
„übermenschlichen" Herzenston, wcnn cr „Seinem Kinde" ein trauliches
Liedel singt. Lieder für „Ueber-Kinder" sind bis heute, Gott sei Dank.
noch nicht erforderlich gewesen.

Kunstwart
 
Annotationen