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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1902)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Bierbaum als Lyriker
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0353

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Wäscherinnenlied, in dem „der Morgenwind, der Schuft", Falbeln und
Büsten der Mädchenkleider aufbläht. Nur muß sich dabei auch das
erotische Fühlen, wie hier in seiner herrlichen Frische, über das Niveau
eines verzückten Fleisch- und Juponverehrers und über zuckrige Tändeleien
erheben, sonst gibt's schließlich nur einen Olanrsn rsüivU'us mit seiner
süßlichen Verliebtheit in die Wädchen Mimilis u. s. w.

Erotische Darstellungen können ja ästhetischen Wert erst haben,
wenn sie körperliche Vorgänge durchempfindend zu beseelen wissen,
mag schließlich auch bloß die Komik der Betrachtung oder (wie bei der
guten Zote) das Derbcharakteristische die vergeistigenden Elemente
bilden. Dann allerdings kann man sich ohne alle Befürchtung an das
Jntimste wagen, so wie Goethe z. B. keines richtigen Menschen Scham-
gefühl verletzen wird, wenn er in seiner ruhevollen Beschaulichkeit von
der Göttin spricht, die Zhres unsterblichen Leibs holdes Verborgnes ge-
gönnt." Selbst das Fragment aus „Hanswursts Hochzeit" mit den
vielen Gedankenstrichen wird wohl nur bei unverbesserlichen Philistern
Aergernis erregen können! Bierbaum treibt's aber gerade umgekehrt, er
vergeistigt nicht das Leibliche, sondern er verleiblicht das Geistige. So,
wenn er des Frühlings feuchte Lippen zu bewuudern vorgibt oder
ihn gar — da weiß man wirklich nicht, soll man „Pfui Teufel" rufen
oder lachen — als „den süßen, saftgebenedeiten Sieger-Knaben mit den
Mädchcnbrüsten" feiert. Stcht derlci ästhetisch nicht tiefer als eine wirk-
lich gelungene Zote? Es ist geradzu Negation des Künstlerischen. Vollends
in eine trübselige Geschmacksverirrung aber verfällt Bierbaum, wenn
auch er in die Geschlechtssphäre zieht, was nicht unmittelbar damit zu
thun hat.

Jch habe an diese Kritik mehr Zeit und Raum gewendet, als der
Sache nach geboten erscheint. Aber ich mußte wohl ausführlicher werden,
weil ich mir bewußt bin, mit meiner Anschauung starkcn Vorurteilen
gegenüberzustehen. Es wird so gern über Pcdanteric und Prüderic
geklagt, wenn man nicht gleich jedcn hübschcn Einfall für den Beweis
einer hohen Dichterbegabung und das Berühren von geschlechtlichen
Dingen nicht schon an sich für das Zeichen eines kühncn Freihcitssinns
und eines mächtigen Temperaments crklärt. Aber auch das ist ein
genau so äußerliches Urteilen nach dem Stoff, wie das dcr wirklich
Beschränkten und Prüden, die auch vor echtcn Dichtungen flüchten,
wenn der Stoff „sllooUinA" ist. Jch denke, wir haben darauf zu sehen,
daß der Stoff im Seelischen aufgelöst wird, wird er das, so haben
wir sogar um so mehr zu danken, je derber von Natur der Stoff war,
dessen Vergeistigung dem Dichter gelungen ist.

Leopold lVeber.


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