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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1902)
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Weber, Leopold: Bierbaum als Lyriker
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0352

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Ziehen wir den Schlusz aus allem bisher Angeführten, so müssen
wir sagen: von einer stärkeren Eigenart, von einer bedeutenden
dichterischen Begabung wird man bei Bierbaum nicht wohl reden können.
Trotzdem — ganz ohne eigene Züge ist seine Dichterpersönlichkeit doch
wieder nicht. Jn seinen besseren, den leichtcn Sachen wenigstens zeigt
sich eine gewisse burschikose Drolligkeit und liebenswürdige Leichtigkeit,
die ihn vor andern kenntlich macht, und Keime einer echtcn Poesie-
begabung zeigen sich auch bei ihm noch sonst. „Wie eine leise Glocke klingt
die Sehnsucht in mir an", beginnt er einmal stimmungsvoll. Der kleine,
klare Bach „klingt aus schattigem Dunkel schüchtern heraus, als käm er
vom Reiche der Träume." Und im Frühlingsabend erscheint's ihm
über den Wald: „Ein rosagelber Streifen lang und schmal ruht segnend
drüber, eine Heilandshand". Nur bleibt's meist bei einem solchen
momentanen Aufblitzen dichterischen Empfindens, es ist bei ihm, wie bei
dem sonst turmhoch über ihm stehenden Dehmel und bei so vielen Modernen :
die Keime entwickeln sich eben nicht. Zum klaren Bach gesellt sich
alsbald ein weniger klares Mädel mit „flatterndem" Haar, das Lied
vom sehnsüchtigen Glöcklein läuft in die banalen Verse aus:

„Sie ist ein Ton von dorten her,

Wo alles Feier ist;

Jch wollke, daß ich dorten wär',

Wo man den Lärm vergißt."

Und in dem Frühlingsabendlied tritt die segnende Heilandshand
als das einzige, wahrhaft dichterisch Empfundene, Visionäre, aus einer
in Versen gebrachten bloßen Naturschilderung heraus, statt daß sich
die ganze Landschaft unter dem Auge des Dichters verlebendigte zu einem
Gesicht, und damit erst die gefühlvolle Beschreibung zu einem rechten
Gedicht würde.

Was nun den geistig-seelischen Gehalt seiner Poesie anlangt, so
scheint mir Bierbaum, ivenn ich das Wesentliche zu fassen trachte,
als den eigentlichen Jnhalt des Lebens das Liebesverhältnis zwischen
Mann und Weib anzusehen. Jn den Liebesverhältnissen wieder sprechen
die erotischen Gefühle ganz besonders deutlich. Das läßt auf eine ziem-
liche Enge der psychischen Veranlagung schließen, aber diese Enge schlösse
ja Tiefe noch keineswegs aus. Und wirklich tritt da auch Bierbaum,
der Bekenner, recht hoffnungerweckend vor uns hin:

»Die Sittlinge müssen sich immer^genieren,

Wenn man recht herzhaft von Liebe spricht.

Sie denken halt immer ans Amüsieren,

An des Rätsels Heiligkeit denken sie nicht."

Aber in der Praxis schwärmt dieser Mystiker denn doch ein
bischen zu oft von Augen, die „der reine Zunder" sind, von Busen
^weiß wie Schnee", von ,zierlichen Höschenrändern" und verheißungs-
vollen „Kniesammtbändern", und gerüt über den „Sammt des Grübchen-
kinns" und über „warme, weiche, kleine Brüste" gar zu hüufig in Ent-
zücken. Zugegeben, auch diese Dinge sind besingenswert bis in die
Damenwüsche hinein, man denke nur an Liliencrons Poesie, oder um
ein einzelnes Beispiel hervorzuheben, an Gottfried Kellers prächtiges

Aunstwart
 
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