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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 12 (2. Märzheft 1902)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Vom Schulmeistern
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Uebungen im Gedichtlesen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0606

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tonen des Amnsanten und Verbindlichen tragen, wo sich's doch weis;
Gott um sehr viel höhere Lebcnswerte handeltl Wir, die wir alle so
knappe Lebensjahre für so vieles haben, das zu sehn, zu fühlen, wenn's
angeht: zu erkennen ist, wir sollten nicht zucrst nach dem bcsten Kern
in Kopf und Herzen, sondern danach fragen, wie ciner den Hut zu
lüpsen und die Hand im Handschuh zu bieten weiß? Wcr uns was zu
sagen hat, der sei uns Genoß! Jst's eine ehrliche Hant, so wird er
deshalb schon sehr oft schulmeisterlich angehaucht erscheinen, nicht, weil
er's wäre, sondern weil unsere Augcn vorlüufig noch gewöhnt sind, oft
als Pedanterie anzusehn, was schlichte Ehrlichkcit ist. Sehr möglich
aber, daß dereinst die mit besondercr Ehre genmmt wcrden, die der
allgemeinen Scheu vor dem „Schulmcistern" in unserer Zeit aus
etwas tieferer Einsicht in die Sachlage getrotzt habcn.

Aber ich wollte ja noch auf das Schulmeistern zurückkommcn,
das wirklich häßlich ist. Natürlich, das gibt es auch, und ich denke
nicht daran, zu bestreiten, daß es z. B. auch unter uns Kunstwartleutcn ge-
legentlich in kräftiger Entwickelung vorkommt. Verehrliche Leser, dann
sagt's und schcltet, aber ärgert euch erst, wenn ihr gefragt habt: ist
bei dem Manne da das Schulmeistern nicht vielleicht der notwendige
„Fehler seiner Tugend" ? Und falls er ohne Schadcn wcgblciben könnte,
dcr Fehler, bercchtigt er uns, die Stärke zu übersehen, an dcr cr als Schwäche
hüngt? Wenn ich dicse klcine Rede auch für den eigenen Herd mitgchalten,
so gcschah's, weil mir persönlich im Laufe der fünfzehn Kunstwartjahre die
Unwichtigkeit der Schulmeister-Klagcn zur felsenfesten Ueberzeugung ge-
worden ist. Wir sehen ja doch auch die Menschen als Ganzes an,
und wenn an den Persönlichkeiten saint ihren Geburts- und Erziehnngs-
Fehlern nichts Schlimmeres mit in den Kauf zu nehmen ist, als gelegcnt-
lich einmal selbst ein wirklich unlicbenswürdiges Schulmeistern, ich denke,
so sind sie doch immcr noch zu ertragcn. Oder die Kleinlichen sind wir,
und die Philister, die Lcute mit den frühfertigen Gchirncn, die glcich-
sam ciner Etikcttfrage wegen sich selbst ums weiterc Wachsen bringen.
Um auszutauschen, was jeder von uns im Kopfc trägt, darum schreibcn
und darum lcsen wir ja, und um uns am Wesen, an dcn Sachen zu
nähren. A.

Tlebuiigen ini Geciicbllesen.

Wir haben cs wiederholt als die größte und dabei als die meist-
unterschützte Schwicrigkeit unsrer „Kunsterziehung," richtigcr unsrer Be-
wegung um Hebung dcr ästhetischcn Genußfähigkeit bezcichnet, daß wir
gar so wenig gutes Agitationsmaterial zur Hand haben. Jmmcr-
hin sind für das Gebiet dcs Sichtbaren jetzt wenigstcns Anfünge da,
dcnn Bücher wie z. B. die von Lichtwark nnd Schultze-Naumburg bicten
in der That eine Uebung des Verständnisses, und mit den Texten zu
unsern „Mcisterbildern" und „Vorzugsdrucken" versuchen wir ja auch,
so gut sich's vor farblosen Vervielfältigungen thun läßt, die „Uebungen
im Bilderbesehen" auszugcstalten, mit dencn Lichtwark als der früheste
begonnen hat. „Uebungen im Musikhörcn" sind noch älter, ich er-
innere an Kretzschmar und die andern Konzertführer — wic dcnn
überhaupt die „Kunsterziehung" bci dcr Tonkunst dank dem hochcntwickelten
musikalischen Dilettantentum die weitest vorgeschrittenc ist. Ganz kläg-

Aunstwart
 
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