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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Vom Schulmeistern
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0605

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allem das Pelzwaschen ohne Naßmachen! Aber ist es denn eine Schande,
cinem zuznhören, der auf dem Gebiete seiner Berufsarbeit besser be-
schlagcn zu sein glaubt, als wir? Weiß denn nicht jeder von uns auf
seinem Gebiet mehr als die andcrn, sind wir nicht anderseits ausnahms-
los bis auf diese Gebietc Laicn, und ist's nicht das mindeste, was
wir von einem verlangcn können, der zu uns spricht, daß er über das,
worüber er zu uns reden will, besser untcrrichtet sei, als wir? Nein,
nicht einmal das, sondern nur: daß er hicr bcsser unterrichtet zu sein
glaube, als wir? Glaubt er das nicht, woher nimmt er dann über-
haupt die Berechtigung, uns zum Zuhören einzuladen? Will er uns
mit scinen Sätzen Dunst vormachen? Jch erinnre daran: wir sprechen
ja jetzt von sachlichen Aufsätzen, nicht von Dichtuugcn und nicht von
Feuillcton-Plaudereicn. So sollte man denken: „Willst du zu mir über
ernsthaftc Sachen ernsthaft redcn, mein Herr Artikelschreibcr, so ist das
eine Unverschämtheit, salls du dich in dieser Sache nicht besser im Bilde
glaubst, als mich. Die Thatsache deines guten Glaubens an dein
Besserwissen in diesem Falle ist das Einzige, was deine Ansprache an
mich berechtigt. Also ist es nicht höflich, sondern beinahe beleidigend,
wenn du thust, als ob dieser Glaube dir abgingc. Mich kannst du nur
dadurch ehren, daß du dich mir so zeigst, wie du bist. Denn damit
sagst du, daß du mich für den Gimpelfang mit Höflichkeitsphrasen für
zu gescheit und für klug genug hältst, deine sachlichen Gründe anzu-
hören. Ob ich dann diese Gründe anerkenne, das ist eine ganz
andere Fragc — und meine Sache."

Jch weiß einen Literaturgeschichtsschreiber, den ich trotz seiner Ein-
seitigkeiten und Schrullen für einen dcr ausgezeichnetsten Köpfe der Zeit
halte, dessen Schreibweise aber eine Menge von Menschen so verletzt,
daß sie ihn, sehr zu ihrem eigncn Schaden, nicht mögen, während diese
Schreibweise doch nur die Folge seiner Ehrlichkeit ist. Er sagt: „Für
mich ist das schlecht oder gut, käm' ich dem Leser mit dürfte« und
»sollte nicht?«, so schwindelte ich ihm vor, daß mir die Sache nicht
sicher crschiene, also schrcib ich: es ist schlecht odcr gut, denn so urteile
ich nun einmal, und daß ich es bin, der so urteilt, das weiß der Leser
ja ohnehin." Dcr Feuilletonist wird gcrade, wenn er sich mit einer
Meinung im Widerspruche zum Leser fühlt, mit Vorliebe das „wir"
gebrauchen, das den Schein ciner Uebereinstimmung vormacht, unser
Mann dagegen braucht dann stets mit besondcrm Nachdruck das „ich"
— und gerade diese Bescheidung wird ihm ost als Aumaßung
ausgelegt. Hat er mit irgcndwem eine Fehde gehabt, so erwähnt er
das mit Sicherheit, wenn er wieder gcgen denselben vom Leder zieht,
einfach aus dem Bedürfnis der Ehrlichkeit, daß der Leser ihn als Be-
teiligten im Streit erkenne, aber gcrade dicse Ofsenheit erscheint
vielen als eine persönliche Wichtigmacherei. So sehr spukt uns der Geist
des Feuillctons immerhin noch im Blute. Und nur die hartköpfigstcn
Schriftsteller widerstreben all diesen Einflüssen sclbständig genug, um
uns trotzdem weiter ungefälschte, unverbogene und unverzierlichte Bilder
ihres wirklichen Dcnkens zu geben.

Solche Bilder aber müssen wir doch wohl vor allem vcrlangen,
wenn wir uns gegenseitig überhaupt sachlich fördern wollen. Wie vicl
Mitschuld an der Halbbildung, die wir so oft beklagen, mag das Be-

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