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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Vom Schulmeistern
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0604

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im Mosseschen „Tageblatt" produzieren sich nicht mehr ausschließlich die
ü la Blumenthal und sogar in Wicn, der gepricsenen Stätte des „geist-
reichen Feuilletons/ versucht ein Bahr seine eigene Kopfartistik als ver-
altete Mode zn „überwinden." Ein Zug nach größerer Sachlichkeit geht
wieder durch die Welt. Man bemüht sich wieder mehr, wo man ernst
scheinen muß, auch ernst zu sein, und anderseits sondert sich dement-
sprechend der Witz vom Ernst, um sich Tummelplätze für sich zu suchen,
wo er sich als das, was er ist, auch gibt: als launige Belenchtung
um dieses Scheinwerfens willen, nicht aber als sachliche Aufklärung.

Nur hat diese gesunde Entwickelung noch mit zwci scheinbar sich
widersprechenden Strebungen zu kämpfen. Mit unsrer Scheu vor freier
Losgebundenheit im Scherz und mit der vor ungebrochener Hingabe an
den Ernst. Zwei Worte nur von der ersten. Wie wenig gcrade wir
Gebildeten imstande sind, die Welt einmal nur mit Schalksnarrenaugen
anzusehn, davon wissen unsre Possen, unsre Brettl, unsre Witzblütter zu
erzählen — wir können alle nicht mehr, was die uns jüngst wieder
vom Kaiser so warm empfohlenen Griechen konnten, was aber der Kaiser
selbst als Deutscher von heute wohl auch nicht kann: nur mit dem
Ernst, dann abcr auch wieder nur mit dcm Humore die Welt besehn,
heute durch einen Aisschylos, morgen durch einen Aristophanes, aber
immer mit ganzer Secle dabei, so daß weder zwischen dem Gottes-
dienste der Spott noch zwischen dem Schalksjubel der Gedanke an übel-
nehmende Majestäten oder Gottheiten aufkommt. Als die Kölner beim
letzten Rosenmontagszug Schillern und Goethen karnevalistisch verwen-
deten, ward das von ansehnlichen Blättern mit Würde gerügt, sicher zur
besonderen Frende der beiden hohen Herren im Olymp. Wie viele ver-
stehen's noch, über wirklichen Geist, über wirkliche Phantasie in einer
Karikatur zu lachen, auch wenn sie selber oder ihre Partei oder Leute,
die sic bcwundern, dort nürrisch betrachtet wcrdcn?

Aber wir sprcchen ein ander Mal von dem Verhültnis des Schcrzes
znm Ernst, wir wollen heut von der zweiten Sortc von Philisterei
redcn, von unserem Granen vor dem „Schnlmeistern." Flicßt es doch
mit der Furcht vor lustiger Ausgelassenheit ganz ans derselben Qucllc.
Die fröhliche Ungebundenheit, je toller je besser, der sich Goethe so gern
hingab und nicht nur in seiner grünsten Zeit, die Vischer beseligt pries,
an dcr ein Keller scine echt germanische Freude hatte und ein Naabe
sie noch hat, die befreite und bcfreiendc Loslösung von der Erdcnschwere
erscheint uns „unpassend," weil wir daran gemöhnt worden sind, jeden
Luftsprung auf einc ernste Absicht anzusehen. Umgekchrt aber klagen wir
über Schulmeisterci, sobald einer sachlich redet, weil nns die Feuilletonistcn
daran gewöhnt haben, auch die ernstesten Dinge nm der Unterhaltung
willen zugestutzt zu sehn.

Nicht, als ob ich das schön fände, was man mit wirklichcm Rechte
„Schulmeisterei" im übeln Sinne ncnnen kann! Jch find' es gar nicht
schön, bin mit jcdem Leser der Meinung, daß man nicht pedantisch und
langweilig sagen soll, was sich auch vergnüglich und nnterhaltsam sagen
läßt, und werd' mir erlauben, darauf noch zurückzukommen. Aber man
versteht in weiten Kreisen jedes belehrende Sprcchen als ein Schul-
meistern. Das Wort „belehren" schon, pfui, wie klingt's — glaubst
du was sagen zu können, was cin anderer nicht weiß, so lcrne vor

Kunstwart

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