fnssung, datz ein Bibliothekar citt Bücherwurm sein müsse, der am meisten
zufriedcn ist, wenn man ihn ungestört bei seinen Folianten läht, der
von der lebendigen Welt wenig wissen will und auf Uugebildete vom
Standpunkt seiner Gelehrsamkeit herabschaut. Ganz ohne „Belege^ ist
diese Meiuung gewitz uicht. Jn eine Volksbibliothek aber gehören andere
Leutc. Die Gelehrsamkeit kommt hier erst an zwciter Stelle in Betracht,
es ist ein grohcr Jrrtum zu glauben, jeder, der sich die dazu gehörigen
Kenntuisse beigcbracht hat, passe nun für solch einc Stellung. Der
Bolksbibliothekar hat hauptsächlich mit Werken zu thuu, die im Tages-
iutcrcsse stcheu, er muß auch selbst den Tagesfragen Teiluahme entgegen-
bringeu; erst wenn er weitz, was die Gemüter beschäftigt, kann er auch
wisseu, was sie brauchen. Er mutz den in seiuer Wahl schwankenden
Leser zu den für ihu passenden Büchern hinleiten, was, wenn der Rat
unaufdringlich sein soll, neben dem Verständnis auch Takt verlangt.
Er muh Fühlung mit den Lesern habcn, als Mensch zum Menschen,
er darf uicht uur als „höhere Jnstanz" erscheinen, an die man sich
allein in schwierigeu Fragen zu wenden wagt. Man vergesse nicht, datz
oftmals Leute kommen, die's nicht verstehen, sich in den Katalogen zurecht
zu fiudeu; sie fordern irgcnd eiu Buch, von dem sie einmal etwas gehört
haben uud das ihnen gewöhnlich gar nicht zusagt; bei der Rückgabe
wissen sic erst rccht nicht, was sie nuu lesen sollen. Jst ihneu das Buch
von Schülern ausgcliehen worden, die nur nach dcr Nummer und nicht
uach dcm Titel zu seheu pflegeu, so wird's daun meistens bei diesem
vcrunglückten Anlauf zum Leseu bleiben, im besteu Fall wird als Ersatz
ctwa cin Krimiualroman verlangt. Ter Biüliothekar, der seinen Leser
durchschaut, wird ihm dagegen die eigenen Wünsche zu klären helfen.
Wenn der Leser immer freuudliche und befriedigeude Auskunft erhült,
so wird er sich iu der Bücherhalle heimisch fühlen, uud er wird
durch deu Verkehr mit dem Bibliothekar allmählich eiue Art Zu-
gehörigkeitsgcfühl zu einer gemeiusameu Sache empfiudeu, das
für beide Teile so wohlthuend wic ersprietzlich ist. Jch habe einen Leser
beobachtet, der, sobald man ihm keinen Vorschlag machte, an alteu
Jahrgängcn der „Fliegenden Blütter" Genüge fand, fragtc ihn aber der
Bibliothekar pcrsünlich uach seineu Wttuschen, so lietz er sich Abhand-
lungeu geben, die Vertiefung und Nachdeuken recht reichlich verlangten,
und dic er doch mit der größten Ilufmerksamkeit las. Dieser Mann
wuchs durch die besondere Beachtung des Bibliothekars, und jeder, der
in diese Verhältnisse hineingesehen, kennt solche Leute. Jhrethalben müßte
der Bibliothekar immer zugegen sein; die Entschuldigung, datz es auf
den einen oder den andern nicht ankomme, darf er nicht kennen. Auch
dic Geduld darf ihm nicht leicht ausgehen, eine ruhige Freundlichkeit
darf ihn nicht verlassen, selbst wenn ihm die Fragen töricht erscheinen,
oder ihm in einem ungelegcnen Augenblick gestellt werden. Freilich, das
ist eine Kunst, die sich nicht erlernen lätzt, ein Ausflutz der Nächsten-
licbe ist's, dic sich mit dem Pflichtbewußtsein vereinigt hat. Nur wer
dcn Beruf in diesem Sinnc auffatzt, wird ihn ganz erfüllen. Jeden-
falls hat alles Streben dahin zu gehen, daß der Bibliothekar nicht
ein lebendiger Katalog sei, sondern der Vermittler von Büchern mit
gutem Gehalt, wie er dem Entwicklungsbedürfnis der Einzelnen
dient.
2. Ianuarhest tS02
zufriedcn ist, wenn man ihn ungestört bei seinen Folianten läht, der
von der lebendigen Welt wenig wissen will und auf Uugebildete vom
Standpunkt seiner Gelehrsamkeit herabschaut. Ganz ohne „Belege^ ist
diese Meiuung gewitz uicht. Jn eine Volksbibliothek aber gehören andere
Leutc. Die Gelehrsamkeit kommt hier erst an zwciter Stelle in Betracht,
es ist ein grohcr Jrrtum zu glauben, jeder, der sich die dazu gehörigen
Kenntuisse beigcbracht hat, passe nun für solch einc Stellung. Der
Bolksbibliothekar hat hauptsächlich mit Werken zu thuu, die im Tages-
iutcrcsse stcheu, er muß auch selbst den Tagesfragen Teiluahme entgegen-
bringeu; erst wenn er weitz, was die Gemüter beschäftigt, kann er auch
wisseu, was sie brauchen. Er mutz den in seiuer Wahl schwankenden
Leser zu den für ihu passenden Büchern hinleiten, was, wenn der Rat
unaufdringlich sein soll, neben dem Verständnis auch Takt verlangt.
Er muh Fühlung mit den Lesern habcn, als Mensch zum Menschen,
er darf uicht uur als „höhere Jnstanz" erscheinen, an die man sich
allein in schwierigeu Fragen zu wenden wagt. Man vergesse nicht, datz
oftmals Leute kommen, die's nicht verstehen, sich in den Katalogen zurecht
zu fiudeu; sie fordern irgcnd eiu Buch, von dem sie einmal etwas gehört
haben uud das ihnen gewöhnlich gar nicht zusagt; bei der Rückgabe
wissen sic erst rccht nicht, was sie nuu lesen sollen. Jst ihneu das Buch
von Schülern ausgcliehen worden, die nur nach dcr Nummer und nicht
uach dcm Titel zu seheu pflegeu, so wird's daun meistens bei diesem
vcrunglückten Anlauf zum Leseu bleiben, im besteu Fall wird als Ersatz
ctwa cin Krimiualroman verlangt. Ter Biüliothekar, der seinen Leser
durchschaut, wird ihm dagegen die eigenen Wünsche zu klären helfen.
Wenn der Leser immer freuudliche und befriedigeude Auskunft erhült,
so wird er sich iu der Bücherhalle heimisch fühlen, uud er wird
durch deu Verkehr mit dem Bibliothekar allmählich eiue Art Zu-
gehörigkeitsgcfühl zu einer gemeiusameu Sache empfiudeu, das
für beide Teile so wohlthuend wic ersprietzlich ist. Jch habe einen Leser
beobachtet, der, sobald man ihm keinen Vorschlag machte, an alteu
Jahrgängcn der „Fliegenden Blütter" Genüge fand, fragtc ihn aber der
Bibliothekar pcrsünlich uach seineu Wttuschen, so lietz er sich Abhand-
lungeu geben, die Vertiefung und Nachdeuken recht reichlich verlangten,
und dic er doch mit der größten Ilufmerksamkeit las. Dieser Mann
wuchs durch die besondere Beachtung des Bibliothekars, und jeder, der
in diese Verhältnisse hineingesehen, kennt solche Leute. Jhrethalben müßte
der Bibliothekar immer zugegen sein; die Entschuldigung, datz es auf
den einen oder den andern nicht ankomme, darf er nicht kennen. Auch
dic Geduld darf ihm nicht leicht ausgehen, eine ruhige Freundlichkeit
darf ihn nicht verlassen, selbst wenn ihm die Fragen töricht erscheinen,
oder ihm in einem ungelegcnen Augenblick gestellt werden. Freilich, das
ist eine Kunst, die sich nicht erlernen lätzt, ein Ausflutz der Nächsten-
licbe ist's, dic sich mit dem Pflichtbewußtsein vereinigt hat. Nur wer
dcn Beruf in diesem Sinnc auffatzt, wird ihn ganz erfüllen. Jeden-
falls hat alles Streben dahin zu gehen, daß der Bibliothekar nicht
ein lebendiger Katalog sei, sondern der Vermittler von Büchern mit
gutem Gehalt, wie er dem Entwicklungsbedürfnis der Einzelnen
dient.
2. Ianuarhest tS02