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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1902)
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Bartels, Adolf: Wilhelm Hertz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0498

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Sinnlichkeit, gesunde Sinnlichkeit — wir kommen immer ivieder
auf dies Epitheton der Hertzischen Poesie zurück, und zwar Sinnlichkeit
sowohl im Gegensatz zu reiner Geistigkeit, also im ästhetischen Sinne,
wie auch im moralischen, als Gegensatz aller Asketik. Die erstere Sinn-
lichkeit darf keiner Dichtung fehlen, sie ist, wenn nicht ganz, doch un-
gefähr dasfelbe wie die Anschauung, aber auch die letztere ist der Poesie
im höchsten Grade wünschenswert, denn wo sie unterdrückt wird, da
entsteht in der Regel Dekadenz, wie denn auch die meisten der Jung-
münchner Gcnossen Hertzens dieser vcrfallen sind. Aber freilich, gesund
muß die Sinnlichkeit sein, Begeisterung für die Schönheit, wahre und
tiefeLeidenschaft sind von ihr nicht getrennt zu denken; das bloße heiße
Verlangen und dic eitle Selbstberauschung zerren sie hinab. Auch dic
Hertzsche Lyrik, im Hinblick auf die Hebbel ja sprach, hat den starken
sinnlichen Zug, abcr auch hier ist er nicht schönheitverlassen, auch hier
kommt er aus dem Tiefstcn und Besten der Persönlichkcit, und so vcr-
leiht er der Hertzschen Dichtung eine persönliche Note, die ihn sowohl
von den meisten Münchncrn wie auch von seinen Landsleuten, dcn
Schwaben, dcutlich unterscheidet. Jm übrigen hat Hertzens Lyrik den
Formreiz, wie seine Epik, und ebenso realistische Züge, die stark ergreifcn.
Jch zitiere zum Bcweis nur ein paar Strophen aus einem sonst nicht
bedeutenden Gedichte „Scheidende Liebe"':

„Ncin, decke deiner Augen Licht
Mit deinen beiden Händcn,

Und ich will auf dem Weg mich nicht,

Nicht einmal rückwärts wenden.

Uud bin ich hinterm Bergessaum,

Wo fahle Bäume winken,

So denk, du wachest auf vom Traum —

Und laß die tzände sinken."

Das könnte gewiß noch vollkommener herausgekommen sein, abcr dcr
Zug mit den Händen ist realistisch-schön. Wahrhaft vollendete Stücke wird
man bei Hertz wohl einc Anzahl, nicht aber eine große findcn, abcr dic
persönliche Note und schöne Einzelheiten haben alle. Selbst wo Uhland
oder Mörike von ferne erkennbar sind, kommt doch noch etwas spczifisch
Hertzisches hinzu. Zicmlich zahlreich sind die Balladen bei Hertz, und
hier hat er, wie in seinen Epen, die Stoffe unmcrklich modernisiert —
man kann bei ihm selbst die stark abgebrauchte Nibelungcnstrophe wieder
ertragen:

,O tote Schlummerschwüle iu Soller, Turm uud tzall',

Wie schläft in deiner Stille endlosen Jammers Schall.

Eine satte Schlange sonnt sich im roten Ufersand;

Schläfrigen Fittichs fliegen zivei Naben übcrs Land."

So mußtc er alles bcleben, und darum wird er lebcn.

Adolf Bartels.

Kunstwart
 
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