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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 22.1906

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Heft 3
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Hasak, Max: Plauderein über das Ornament der Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.44851#0034

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1906

A RCH1TER TONISCHE R UN DSC HA U

Heft 3

Fries. Ausgeführt von Robert Schirmer in Berlin.


der »junge Mann« etwas, so auch der Baurat; kann der junge
Mann nichts, so ist es auch bei dem berühmten Baukünstler
mit der Kunst schwach bestellt.
In derselben Lage befindet sich der Baumeister, welchem
das Gefühl für plastisches Ornament nicht anerzogen worden
ist, seinem Bildhauer gegenüber.
Haben wir bisher gesehen, warum so viele Baumeister
heutzutage nicht fähig sind, ihren Werken den Reiz der alten
Bauten, nämlich das vollendete Ornament zu geben, so müssen
wir nun die Gründe untersuchen, warum es unsrer Zeit ver-
sagt bleibt, ein neues, ihr eigenartiges Ornament zu schaffen
und zu besitzen.
Ein Hauptteil der Frage ist schon im vorhergehenden be-
antwortet: Ein neues Ornament wird nicht geschaffen, weil
gerade diejenigen, welche dazu berufen sind und die nur dafür
in Betracht kommen können, nämlich die Baumeister, die Or-
namente nicht selbst schaffen. Zu einer Fortentwicklung des
Ornamentes fehlt dem Bildhauer fast alles Erforderliche.
Der zweite
Hauptgrund für
die Unfruchtbar-
keit im Hervor-
bringen eines eige-
nen Ornamentes
besteht im Verken-
nen des Wesens
des Ornamentes,
im völligen Irrtum
über die Art und
Weise, wieman das
Ornament schafft.
Man glaubt dabei
augenscheinlich
nochandenStorch.


II.
Ist das Schaffen des Ornaments wirklich ein verloren ge-
gangenes Geheimnis?
Fast sollte man es meinen. Die einen sieht man unent-
wegt das nachahmen, was Griechen und Römer, oder was die
Renaissance geschaffen hat. Die andern zermartern sich den
Kopf nach nie gesehenen Ungeheuerlichkeiten oder suchen ihr
Heil in den absonderlichsten Anordnungen unkenntlich gemach-
ter Blüten und Blätter.
Dem einen ist die Kunst etwas Gegebenes, eine überlieferte
abgemachte Sache, an der nicht gerüttelt werden darf, die
andre erfunden und festgesetzt haben; andre, die uns gegen-
überstehen wie höhere Wesen, nämlich jene göttergleichen
Hellenen, denen wir nicht das Wasser reichen können. Dieser
bleibt bei Akanthus und Ranken, die einmal rechts und ein-
mal links gewunden sind. An dessen Bauten werden zum
millionsten Male die korinthischen Kapitelle mit allen ihren
geheiligten Blattlappen wie Mumien wiederum darangehangen.
Keine Schnecke und kein Stiel darf anders sein, als dies überall
und in so langen Jahrhunderten schon modelliert worden ist.
Da waren doch die italienischen Frührenaissancebaumeister
gedankenreicher. Sie flohen ordentlich all die zum Überdruß
nachgeahmten Kapitelle. Nur die allgemeinen Umrisse behielten
sie bei. Die Kapitelle selbst aber füllten sie mit den herr-
lichsten Neuschöpfungen. Früchte, Blätter, Blüten, Gefässe,
ganze Figuren mußten zum Schmucke derselben herhalten.
Und so sehen wir es nicht bloß an ihren Kapitellen, so schufen

sie Neues in ihren Friesen und Füllungen, an den Bekrönungen
wie allerorts. — Andre, denen die Kunst nicht als etwas Un-
abänderliches, als eine Art Fatum erscheint, als ein Etwas, das
entweder zu nehmen ist, wie es ist, oder von dem man die
Hände zu lassen hat; andre, die wie gesagt etwas Neues,
etwas, das uns und unsrer Zeit angehörig ist, schaffen wollen,
suchen ihr Heil bei der wild geschwungenen Linie oder in
Absonderlichkeiten, die durch möglichste Unkenntlichmachung
oder, wenn es gestattet ist, Verrenkungen der Naturgegenstände
entstehen. Wahrscheinlich stehen sie im Bannkreis des »Stili-
sierens«. Sie meinen in diesen Absonderlichkeiten und Will-
kürlichkeiten zu »stilisieren«.
Warum müssen sie denn »stilisieren«?
Dieser Begriff ist eine ebensolche Kunstmumie, wie die
korinthischen Kapitelle. Keine vernunftgemäße Gedankenfoige
führt zur Notwendigkeit des »Stilisierens«.
Ja, was »Stilisieren« eigentlich bedeutet, das weiß kein
Mensch. Das ist ein Fremdwort, das sich noch viel leichter
einstellt, wenn Begriffe fehlen, als ein deutsches Wort.
Warum nimmt man nicht die Natur wie sie ist?
Ja man kann doch nicht bloß die und jene Blätter,
oder diese und jene Blüten und Früchte brechen und sie
an den betreffenden Gegenstand heften. Dazu bedürfte man
keines Künstlers. — Nun ganz abgesehen davon, daß man
zum Anhängen all der griechisch-korinthischen Ornament-
und Kapitellmumien auch keines Künstlers benötigte, so wird
jeder, der ein Kapitell oder eine Kehle oder einen Fries mit
Meisterschöpfungen der Natur zu verzieren versucht, gleich
sehen, daß der Künstler dazu sehr erforderlich ist. Kein Blatt
paßt genau an diese
oder jene Stelle: da
muß es nach dieser
oder jener Richtung
gelegt werden und
Genossen erhalten.
Hier muß es sich
anschmiegen, dort
stützen, an jener
Ecke frei heraus¬
sprießen. Diese leere
Stelle muß noch ge¬
füllt werden, viel¬
leicht mit einer Blüte
oder Knospe. Zur
Abwechslung setzt sich eine Traube oder eine Frucht auf die
andre Seite. Dabei muß der Stoff berücksichtigt werden, aus
welchem das Ornament endgültig hergestellt werden soll, wie
die Technik, welche es diesem Stoffe abringt. Es verbietet sich
ganz von selbst, den gleichen Entwurf in Sandstein wie durch
Teppichweberei auszuführen.
Die Verwendung der Natur ist keine »Kopie«, keine ein-
fache Übertragung irgend eines Blattbüschels vom Baum auf
jene Kapitellecke, der Künstler kommt genugsam zur Geltung,
er ist das unbedingt Nötige. Aber ich betone, der Künstler!
Jener Mensch, der nicht bloß begabt ist, der sich nicht bloß
für solche Sachen begeistert, sondern der auch die Kunst
erlernt hat, der in langen Mühen seine Hand geschult, sein
Auge geübt, der sich an den Meisterwerken, die uns die
vergangenen Zeiten hinterlassen haben, gebildet hat. Kennt
er die Meisterschöpfungen seiner Vorgänger nicht, dann ist
er einem Chemiker zu vergleichen, der wohl experimen-
tieren gelernt hat, aber nicht weiß, was alles in der Che-
mie schon geschaffen ist, und der nun die ganze Wissen-
schaft neu erfinden und die Denkarbeit vieler Ge-


Kapitell. Architekt: S. Koznitzky.
Modelliert von Robert Schirmer in Berlin.


Fries vom Bahnhof in Kolberg.

Architekt: Bauinspektor Stubbe.
Ausgeführt von Robert Schirmer in Berlin

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