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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 22.1906

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Heft 9
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Wahrheit und Konstruktion als Schmuck
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https://doi.org/10.11588/diglit.44851#0078

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1906

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 9


Brunnen vor der Neuen Börse
in Amsterdam.

Architekt: H. P. Berlage
in Amsterdam.


gewerbes auf den großen Ausstellungen diesesjahres in Dresden,
Köln und Nürnberg berichten, eine Frage berühren, die sich
aus der Betrachtung des bisherigen Entwicklungsganges unsrer
neuen Kunstbestrebungen ergibt.— Dazu müssen wir zunächst
kurz einige Gedanken wiederholend zusammenfassen.
Das Einsetzen jeder durchgreifenden Stilwandlung beruht
auf dem Suchen nach konstruktiver und dekorativer Wahrheit,
also in dem Bestreben, für neue Baugedanken und -aufgaben
und für neue Anschauungen den entsprechenden, wahrhaftigen
Ausdruck zu finden, die Form aus dem Material und der
Technik zu entwickeln und sie zum Ausdruck der künstlerischen
Gesamtidee, wie der zeitgenössischen Kultur zu machen.
Das haben schon die großen Meister des vergangenen
Jahrhunderts, Schinkel, Semper, Viollet le Duc, gewollt und gelehrt.
Die Erkenntnis, daß die letztvergangenen Jahrzehnte diese
Aufgabe mißverstanden und in der äußeren Nachbildung über-
lieferter Formen niemals zu erfüllen vermochten, hat zu dem
jüngsten Auf-
leben selbstän-
diger künstleri-
scher Bestre-
bungen geführt.
Zugleich mit
der Verfehltheit
der sogenann-
ten »Stilwande-
rung«haben wir
aber auch einige
tieferliegende
Gründe dersel-
ben erkannt in
dem Fehlen ein-
heitlicher, ganze
Völker besee-
lender Gedan-
ken, aus denen
allein die gros-
sen Bauaufga-
ben und deren
überzeugende
Durchbildung
hervorgehen
roam. in Amsterdam.


Säule in der Neuen Börse

Architekt: H. P. Berlage

können, und in
dem Mangel an
einer höheren
Lebenskultur,
die einer auf-
blühenden rei-
nen und wahr-
haften Kunst
kräftigen Nähr-
boden und si-
chere Eigenart
verleiht.
Die Über-
sättigung an
veralteten For-
men, der Wider-
wille gegen de-
ren durch die
Protzenunkul-
tur verschul-,
dete überladene
Nachahmungen,
wie gegen das
Prunken mit
scheinbar kost-
barem Material,
haben zur be-
wußten und
oftunbedingten
Ablehnung des
Alten geführt.
Über die Wege
zum Wiederauf-
bau gingen die
Meinungen so
weit auseinan-
der, wie die per-
sönlichen All-

Kronleuchter. Architekt: H. P. Berlage in Amsterdam.


schauungen über das Wesen und die Ideale der Gegenwart.
Und diese Gegensätze bestehen fort, wenn sie auch augen-
blicklich an vielen Stellen weniger deutlich hervortreten, wenn
sogar hie und da Annäherungen stattfinden mögen, die an
eine Überbrückung glauben lassen.
Wird diese Überbrückung tatsächlich stattfinden? Werden
die beiden großen Wege zu einem einheitlichen Ziele führen,
auf denen die einen zu einem künstlerisch vollendeten Ausdruck

des lebensdurstigen Persönlichen, das die Gegenwart so weit-
gehend beherrscht, gelangen wollen, während die andern in
stolzer, opferfreudiger Entsagung, mit geduldiger, gewissen-
haftester Arbeit im letzten Grunde nicht für die Gegenwart,
sondern für die erhoffte Zukunft schaffen, damit diese, künst-

lerisch aufs beste geschult, die Aufgaben vollendet zu lösen
vermöge, welche eine neue Übereinstimmung in Weltanschau-
ung und Kultur, ein neues Menschheitsideal stellen soll?
Oder werden beide Wege auseinandergehen? Wird viel-

leicht der am
verlockendsten
scheinendewie-
der am Ziele
vorbeiführen,
wenn die Führer
nicht beizeiten
scharf vor-
und rückwärts
schauen, wenn
nicht auch ihre
Gefolgschaft
ernsthaft sich
daran erinnert,
daß nach den
Lehren der Ge-
schichte die

Neue Börse Architekt: H. P. Berlage
in Amsterdam. in Amsterdam.


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