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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 22.1906

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Heft 12
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Materialschönheit und Zweckformen
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https://doi.org/10.11588/diglit.44851#0105

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1Q06

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 12


Portal der Martinskirche
in Magdeburg.

Architekt: Albert Schütze
in Magdeburg,

der alten Vorbilder tüchtige Kräfte geschult und ein sicheres
technisches Können wiedergewonnen, das dem der alten
Meister auf vielen Gebieten gewiß nicht weit nachstand. Aber
die Arbeitsbedingungen waren ja inzwischen völlig andre ge-
worden und das allgemeine künstlerische Empfinden war nicht
so schnell wiederzugewinnen, wie das technische Können.
So fehlten bei den meisten neuen Arbeiten Zeit und Mittel, um
die Arbeiten nun auch wirklich so vollendet durchzuführen,
wie man es an den alten Vorbildern gelernt hatte. Vor allem
aber fehlte der Geist, die allgemeine Kunstfreudigkeit, die früher
Handwerker wie Besteller gleichmäßig Freude am Entstehen
und Gelingen auch der einfachen, bescheidenen Werke emp-
finden ließ.
Die überschwengliche Begeisterung für den Formenreich-
tum der auf uns gekommenen Prunkstücke der Vergangenheit
verlangte an all und jedem Stück möglichst viel Zierformen.
Ganz natürlich mußte darunter der innere Gehalt leiden. Der
Formenreichtum — überall gesehen — mußte ermüden. Immer

Galerie Heinemann in München. Architekt: Professor Emanuel Seidl
Detail. in München.


der Materialschönheit

Galerie Heinemann
in München.

Architekt:
Professor Emanuel Seidl
in München.
Materialschönheit verwendete Handarbeit

schneller kam das Bedürfnis nach Abwechslung und die end-
gültige Übersättigung.
Dem Übersatten widersteht zunächst auch gesunde Kost;
daher die völlige Ablehnung der alten Zierformen und das
Genügenlassen an der »reinen« Zweckform.
Für die Kunstindustrie ist damit das erlösende Wort ge-
sprochen. Seit sie ihre eigenen, durch die Maschinentechnik
vorgeschriebenen Wege geht und nicht mehr nachahmungs-
süchtig nach jedem neuen Erzeugnis des Kunsthandwerks
ausschaut, ist sie künstlerisch selbständig und wahrhaft lei-
stungsfähig geworden. Ihre so entstandenen Erzeugnisse sind
solid und echt und — weil die Formen aus der Herstellungs-
weise abgeleitet sind — preiswert.
Die Arbeiten des heutigen Kunsthandwerks dagegen, die
in so weitgehender Weise die schmucklosen Zweckformen der
Kunstindustrie und die Voranstellung
zum Vorbilde ge¬
nommen haben,
sind oft über¬
raschend teuer,
weil ihre Ein¬
fachheit nicht die
natürliche, son¬
dern eine ge¬
suchte, überfei¬
nerte ist. Mit
andern Worten:
Die auf die Her¬
stellung anschei¬
nend möglichst
einfacher Zweck¬
formen und gros¬
ser Flächen zur
Hervorhebung der
ist so teuer und die angewendete Arbeitsweise so wenig künst-
lerisch selbständig, daß es oft fraglich erscheint, ob das Er-
reichte noch im richtigen Verhältnis zum Aufwand steht. Denn



auch von hervorragenden kunsthandwerklichen Leistungen im

Sinne der Anwendung
besonders kunstvoller
Techniken, die durch
den Kunstwert der Ar-
beit die Ausnahmepreise
rechtfertigen würden,
ist meist nicht die Rede.
Andre wieder versuchen
durch verschwenderi-
sches Umgehen mit
kostbarem Material
man denke nur an die
klobigen Möbel aus
kostbarsten Hölzern
zu imponieren.
So erscheint die
Frage wohl gerechtfer-
tigt und erwägenswert,
wieweit diese Betonung
von Zweckform und
Materialschönheit im
Kunsthandwerk nutz-
bringend und fördernd
zu wirken vermag, vor
allem auch auf die Er-
haltung und Weiterbil-
dung kunsthandwerk-
lich-technischen Kön-
nens.
Was kann man zum
Beispiel, um nur eins
herauszugreifen, von
dieser Geschmacksrich-
tung für die Zukunft


Galerie Heinemann
in München.
Detail,

Architekt:
Professor Emanuel Seidl
in München.

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