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JOHANN MICHAEL FRITZ
Munster
Ein spdtgotischer Kelch fur St. Martin
in Poznań (Posen)
Als mir im Sommer 2015 Photographien von dem Kelch vorgelegt wurden, der sich
in einer Kirche Westfalens befindet, lieB schon ein erster Blick erkennen, dab die-
ses Werk mit seinen charakteristischen Merkmalen der Formgebung wie dem
Korbunterfang der Kuppa nicht hierzulande entstanden sein kann. Vielmehr muB es von
weither stammen.
Denn dank verwandter Stiicke laBt sich sagen, dab wesentliche Teile des Kelches um die
Mitte des 15. Jahrhunderts im Gebiet des Deutschen Ordens entstanden sind. Diese Zuschrei-
bung findet ihre Bestatigung nach Vergleichen mit Abbildungen in deutscher und polnischer
Literatur: wesentliche Teile des Kelches wurden im Bereich der Stadte Danzig, Elbing, Ma-
rienburg oder Thorn gearbeitet1. Dieses Gebiet wurde nach dem Frieden von Thorn 1466
polnisch und wird in Polen als konigliches PreuBen bezeichnet. In dieser Zeit ist der Kelch
im Jahre 1483 inschriftlich nach Posen gestiftet worden. Hier hat das vermutlich beschadigte
Werk erste Erganzungen erfahren. Weitere Veranderungen erlebte es offenbar bei Ortswech-
seln im Zusammenhang mit ziemlich unsachgemaBen Restaurierungen (Abb. 1-6).
Die erste Phase
Dazu gehoren die Kuppa mit dem Unterfang, der getriebene Knauf, der FuB mit der
durchbrochenen Zarge und die Standplatte. Am oberen Teil der Kuppa fallt die hervorra-
gend gravierte Inschrift ins Auge: Calicem salutaris accipiam et nomen domini invocabo
(Ps. 116, 13). Dieser vor der Kommunion vom Priester gebetete Text findet sich gleichar-
tig ebenfalls auf der Kuppa bei mehreren gotischen Kelchen des ehemaligen Gebietes des
Deutschen Ordens2.
Die zweite Phase
Dazu gehórt die nachtraglich gravierte lateinische Inschrift in schwer lesbaren goti-
schen Minuskeln auf dem breiten FuB. Sie nennt das Datum von 1483 und den polnischen
1 Vgl. Johann Michael FRITZ, Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa, Munchen 1982, Abb. 557-561; Kinga
SZCZEPKOWSKA-NALIWAJEK, Złotnictwo gotyckie Pomorza Gdańskiego, Ziemi Chełmińskiej i Warmii, Wrocław
1987, Abb. 65-80; Grażyna REGULSKA, Gotyckie złotnictwo w Polsce, Warszawa 2015, Bd. II, Abb. III/132-134 und
viele folgende. Professor Dr. Dr. h. c. Piotr SKUBISZEWSKI, Warschau, gab die Anregung, mit diesem Artikel den
Kelch in Polen bekannt zu machen.
2 Zum Beispiel REGULSKA (wie Anm. 1), Abb. III/171, 173, 174.
JOHANN MICHAEL FRITZ
Munster
Ein spdtgotischer Kelch fur St. Martin
in Poznań (Posen)
Als mir im Sommer 2015 Photographien von dem Kelch vorgelegt wurden, der sich
in einer Kirche Westfalens befindet, lieB schon ein erster Blick erkennen, dab die-
ses Werk mit seinen charakteristischen Merkmalen der Formgebung wie dem
Korbunterfang der Kuppa nicht hierzulande entstanden sein kann. Vielmehr muB es von
weither stammen.
Denn dank verwandter Stiicke laBt sich sagen, dab wesentliche Teile des Kelches um die
Mitte des 15. Jahrhunderts im Gebiet des Deutschen Ordens entstanden sind. Diese Zuschrei-
bung findet ihre Bestatigung nach Vergleichen mit Abbildungen in deutscher und polnischer
Literatur: wesentliche Teile des Kelches wurden im Bereich der Stadte Danzig, Elbing, Ma-
rienburg oder Thorn gearbeitet1. Dieses Gebiet wurde nach dem Frieden von Thorn 1466
polnisch und wird in Polen als konigliches PreuBen bezeichnet. In dieser Zeit ist der Kelch
im Jahre 1483 inschriftlich nach Posen gestiftet worden. Hier hat das vermutlich beschadigte
Werk erste Erganzungen erfahren. Weitere Veranderungen erlebte es offenbar bei Ortswech-
seln im Zusammenhang mit ziemlich unsachgemaBen Restaurierungen (Abb. 1-6).
Die erste Phase
Dazu gehoren die Kuppa mit dem Unterfang, der getriebene Knauf, der FuB mit der
durchbrochenen Zarge und die Standplatte. Am oberen Teil der Kuppa fallt die hervorra-
gend gravierte Inschrift ins Auge: Calicem salutaris accipiam et nomen domini invocabo
(Ps. 116, 13). Dieser vor der Kommunion vom Priester gebetete Text findet sich gleichar-
tig ebenfalls auf der Kuppa bei mehreren gotischen Kelchen des ehemaligen Gebietes des
Deutschen Ordens2.
Die zweite Phase
Dazu gehórt die nachtraglich gravierte lateinische Inschrift in schwer lesbaren goti-
schen Minuskeln auf dem breiten FuB. Sie nennt das Datum von 1483 und den polnischen
1 Vgl. Johann Michael FRITZ, Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa, Munchen 1982, Abb. 557-561; Kinga
SZCZEPKOWSKA-NALIWAJEK, Złotnictwo gotyckie Pomorza Gdańskiego, Ziemi Chełmińskiej i Warmii, Wrocław
1987, Abb. 65-80; Grażyna REGULSKA, Gotyckie złotnictwo w Polsce, Warszawa 2015, Bd. II, Abb. III/132-134 und
viele folgende. Professor Dr. Dr. h. c. Piotr SKUBISZEWSKI, Warschau, gab die Anregung, mit diesem Artikel den
Kelch in Polen bekannt zu machen.
2 Zum Beispiel REGULSKA (wie Anm. 1), Abb. III/171, 173, 174.