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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1887

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Heft 1/2
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Sepp, J.: Der Hermes von Olympia und dessen gewagte Restauration, [1]: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbevereins zu München von Prof. Dr. J. Sepp
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https://doi.org/10.11588/diglit.6902#0010

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Doch wir haben es weniger mit der Gestalt, als mit
dem Attribut in seiner pand zu thun. Dazu diente sonst
die siebensaitige Leyer, d. h. die Planetenlyra. Diese ist
hier nicht am Platze, keine Hand wäre zum Spiele frei,
kein Ansatz zeigt sich an der Brust. Ebenso wenig paßt
die goldene Wünschelruthe oder der Friedens- und Hirten-
stab, indem Hermes als Heerdegott selbst das Lamm auf
seine Schulter nimmt und in der christlichen Zeit in den
guten Hirten umgewandelt ward. Auch der Würfel eignet
sich nicht, womit der ägyptische Trismegistos oder Dreimal-
größte der Isis die fünf Schalttage abgewonnen, um sie
dem alten Jahre hinzuzufügen. Aber ebenso unschicklich finden
wir die Traube zum lockenden Spielzeug, oder ist Hermes
ein Satyr, sie dem jungen Gotte zu zeigen und ihn damit
zu reizen? Ist es nicht Dionysos, der zuerst den Wein-
stock aus Indien brachte, und mit der neubelebenden Frucht

Hermes mit dem Bacchusknaben.

Nach den Angaben von j)rof. vr. Sepp ergänzt und gezeichnet von H. Kaufmann.

den Triumphzug durch die Länder hielt, die armen Sterb-
lichen zu erquicken und ihnen das Dasein erträglicher zu
machen? Nysa, der Ort seiner Erziehung, ward nicht nur
in Indien am Fuße des Meru und im glücklichen Arabien,
sondern selbst in Palästina (zu Skythopolis), in Karte»,
Kappadocien, Thrazien und Böotien gewesen; kurz jedes
Land wollte den Gott sich aneignen, der als Lyäos, Lysios
oder Eleutherios, als Veus Liber, d. h. als Erlöser und
Befreier gepriesen ward und einer neuen, vom Drucke der
alten Zeit befreiten Generation den Namen Liberi int
Sinne der Freiheit und höheren Kindschaft verlieh.

Beim Bacchus-Festzuge wurde ein Krug ntit Wein
und Reben vorangetragen. Uebrigens hatte Dionysos auch
Antheil ant Mrakel zu Delphi, und wie ein Eepög Xo/o;

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besagt, war im Adyton des Tempels eine künstliche Er-
höhung sogar für sein Grabmal angesehen. Die Hauptrolle
aber spielt er bei den großen Eleusinien; hier eben kommen
Hermes und Dionysos in innigste Verbindung.
Hermes war der Herold der Götter, der Bote des Zeus;
als solchen sehen wir ihn in unserer Glyptothek die San-
dalen binden. Er war der zwischen Himmel und Erde
vermittelnde Helfer des Menschengeschlechtes, der pfychagog
und Psychopomp, der die Seelen vom Himmel zur Erde
und in die Unterwelt geleitete, wo nicht zu ihrem Ausgange
zurückführte. Hermen standen darum als Meilenzeiger an
allen Römerstraßen. Er war nicht bloß Begründer der
Musik und Arithmetik, sondern zugleich Herr der Redekunst,
der Gott der Offenbarung, vergleichbar dem platon-
ischen Logos. Seine Allgegenwart versinnlichen die Flügel-
sohlen, die auch an seinem Wunschhute angebracht sind. Er
ist der Hermeneut, und die Zunge der Gpferthiere ward
ihm geweiht. Wohlan, der Wegeführer möge uns von
Olympia nach Eleusis geleiten. Der Mysterienkult wird
uns die höhere Bedeutung des Hermes ntit dem Knaben
Dionysos auf dem Arme offenbaren.

In Eleusis stellte der Hierokeryx aus dem einheim-
ischen priestergeschlechte den Hermes vor. Das Vorbild
der Geweihten ist auf seinem Arme „der heilige Knabe",
auch „das Kind des Altares" genannt, welcher die Adepten
mahnen sollte, wie sie alle Kinder werden müßten, um die
Sohnschaft Gottes zu erlangen. Wir sind weit entfernt,
christliche Gedanken zu unterlegen und erklären vielmehr,
daß das Lhristenthum dis mysteriösen Namen Myste
(Neomyst), Epopte, Episkopos und Prophet mit den
Eleusinien gemein, ja von diesen ausgenommen hat. Die
Exegeten legten daselbst das ungeschriebene Recht aus,
Epibomios, der Altarpriester, verrichtete die Liturgie,
und die urkirchliche Disciplina arcani ist den Mysterien
entlehnt. Die Aufnahnte in die Eleusinien erfolgte mittels
einer Taufe durch Wasser, deren Ausdruck der Henkel-
krug war, sowie durch eine Feuerlustration, die Bacchus-
oder Mysterienfackel geheißen. Damit aber die innere Rei-
itigung nicht fehle, ging ein förmliches Sündenbekenntniß
voran, und Nero, der Muttermörder, ward von der Auf-
nahme zurückgswiefen. Der Adept erhielt ein weißes
Kleid, welches er, wie der christliche Täufling das Tauf-
hentd, als Gewand der Anschuld bis zum Grabe aufbe-
wahrte. Die Feier dauerte neun Tage, so daß inzwischen
die Einweihung in die großen Geheimnisse und die Schauder-
mysterien im Allerheiligsten, wie die Dualen des
Tartarus und die Freuden des Elysiunts szenisch
zur Vorstellung kamen, Hermes war durch seinen
Stellvertreter gewissermaßen der Pathe der Neophyten, und
der heilige Herold erhob den Ruf: „hinaus, hinaus ihr
profanen!" (gleichsam das Ite missa est). (Schluß folgt.)

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