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Jean Francois Millet.

mit etwas Uebung können wir beide bald so viel
wie alle unsere Lehrer.«
Sie liessen sich zusammen in einem kleinen
Atelier Rue de l’Est No. 13 nieder, dort porträtierten
sie, lasen und diskutierten und führten ein freies,
frohes Bohemeleben. Millets Freund war ihm in
mancher Hinsicht ganz ungleich. Marolle war durch-
aus Pariser, ein Bewunderer der romantischen Rich-
tung in Poesie und Malerei; er deklamierte den ganzen
Tag Verse von Alfred de Müsset und dichtete selbst
in diesem Stil. Millet hingegen hatte wenig Sym-
pathien für diesen Dichter und kritisierte die Tendenzen
seiner Kunst scharf. »Er versetzt euch in Fieber,
gewiss, aber mehr vermag er euch nicht zu geben.
Er hat etwas Bezauberndes, aber sein Geschmack ist
kapriziös und vergiftet. Er kann euch nur enttäuschen
und verderben und euch dann der Verzweiflung
überlassen. Das Fieber geht vorüber und ihr steht
da ohne Kräfte, wie ein Genesender, dem es nach
frischer Luft und Sonnenglanz verlangt.«
Er bat seinen Freund, zur Natur und Vernunft
zurückzukehren, — zu den grossen Dichtern des
Altertums, welche die Tiefen des Lebens ergründet,
zu Homer und Virgil und zur Bibel, in welcher der
Künstler die schönsten Bilder in edelster Sprache
findet.
Marolle hörte lächelnd zu und zuckte mit den
Achseln. Und doch kam ihm später der Gedanke,
dass sein »Bauernfreund« recht gehabt, dass sein
Weg der beste gewesen.
Marolle versuchte sich abwechselnd in Oel- und
Wasserfarben, er radierte und schrieb Verse, aber
selten vollendete er eine ernste Arbeit, und es gab
Momente, wo er seinen Gefährten beneidete:
 
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