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T2 Jean Francois Millet.
»Boucher und Watteau sind populär,« antwortete
Marolle, »kolorierte Illustrationen von nackten Frauen.
Mache Pastelle in dem Styl.«
Millet schüttelte den Kopf; das war nicht nach
seinem Geschmack. Als letzten Versuch malte er
noch ein kleines Bild »Die Nächstenliebe mit ihren
Kindern«. Aber vergebens! Er trug es selbst zu den
Händlern, aber nicht einer wollte ihm auch nur einen
Franc dafür geben. Er brachte es betrübt nach
Hause und sagte zu Marolle: »Du hast recht, sage
was ich malen soll.«
So wurde der künftige Maler des »Säemanns«
durch harte Notwendigkeit gezwungen, kleine Pastelle
im Stile eines Boucher und Watteau zu komponieren,
für welche Marolle die Namen ersann. »Die Musik-
stunde«, »Das lesende Mädchen«, »Ein Tag in Tria-
non« u. s. w. Ab und an versuchte Millet es mit
einem biblischen Motiv, »Ruth und Boas«, »Jakob
in Labans Zelten« — aber sie hatten wenig Erfolg.
Marolle trug die Sachen selbst zu den Händlern
und that sein Möglichstes, sie zu verkaufen. Wenn
alles fehlschlug, malte Millet Porträts für 5—6 Francs
und hatte er dann das Geld, so eilte er ins nächste
Gasthaus, um etwas zu essen. Sein Frühstück be-
stand damals aus einer Semmel und einem Glase
Wasser, und oft musste es ohne Mittagessen gehen.
Aber er klagte nie und bat nie um etwas. Und lä-
chelte Fortuna ihm ausnahmsweise, hatte er ein Pastell
für 20 Francs verkauft, so warf er die Mütze in die
Luft und war in dem Gedanken glücklich, dass auch
ihm eine Zeit der Freiheit kommen könnte, in der
er sich ohne Zwang der Kunst seiner Träume widmen
könnte.
 
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