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Jean Francois Millet.

— seine Kohlezeichnungen sind fast noch bedeutender.
Auf einem kleinen Blatt Papier, ohne die Hilfe der
Farbe, nur durch die Zeichnung und die geschickte
Behandlung von Licht und Schatten, lässt er uns die
weite Ferne des Horizonts, die unendliche Ausdehnung
von Meer und Luft, die Tiefe und Klarheit der
Atmosphäre empfinden.
»Das Wichtigste an der Farbe,« äusserte er einst
zu einem Freunde, »das, was man Ton nennt, kann
durch schwarz und weiss vollkommen ausgedrückt
werden.« Und gerade diesen Ton giebt er in un-
vergleichlicher Wahrheit in seinen Zeichnungen. Zum
Beispiel »Les Porteuses d’Eau«, eine Studie, die auf
der Pariser Ausstellung so viel Aufsehen erregte. Die
kühle Atmosphäre des frühen Morgens ist grossartig
wiedergegeben; wir sehen den Nebel auf dem Moor,
während der feurige Ball der aufgehenden Sonne im
Osten steht, im Vordergrund die beiden prächtigen
Gestalten, eine kniende Frau mit dem Krug, daneben
die Gefährtin, ihr zuschauend. Das Motiv ist so ein-
fach, aber die herrliche Bewegung der einen Figur
und die hoheitsvolle Stellung der anderen hebt dieses
alltägliche Motiv in das Reich idealer Kunst. Ebenso
»Les Lavandieres«, zwei knieende Frauen, die Wäsche
ausringen, und dann die wundervolle Zeichnung in
der Forbes-Sammlung, wo eine Frau die andere mit
Wäsche bepackt und durch den Nebel ein Schiffer
über den mondbeleuchteten Strom rudert. Ferner die
ausruhende Gestalt eines Mädchens, das mit einem
Wasserkrug an einem Baum lehnt, und denselben
schönen Lichteffekt sehen wir bei der Mutter, die ihr
Kind wiegt. Alle Details hat Millet mit gewohnter
Genauigkeit wiedergegeben, aber der Reiz liegt in
der ausgesprochenen Mutterliebe. Wie er selbst sagt;
 
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