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1875—1895.

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»La beaute c’est l’expression. Quand je ferai une
mere, je tacherai de la faire belle de son seid regard
sur son enfant.« Die feierliche Einfachheit des Motivs
veranlasste Diaz zu der Bemerkung, dass Millet diese
Zeichnungen direkt aus der Bibel genommen habe.
Diese junge Mutter könnte die Madonna mit dem
Christuskind sein, diese heimgehenden Bauern könnten
die Heilige Familie auf der Flucht vorstellen. Die
Heilige Geschichte besass für Millet eine grosse An-
ziehungskraft, und oft sprach er von Vorgängen aus
dem Leben Christi, die er gerne malen möchte.
Seine erste Zeichnung, die er nach Cherbourg mit-
nahm, war dem Lukasevangelium entnommen, und
in einer seiner letzten Unterhaltungen sprach er von
einer Darstellung der Heiligen Nacht, die er malen
wollte. Der Text: »Denn sie hatten sonst keinen
Raum in der Herberge«, sprach ihn besonders an und
erweckte ihm den Wunsch, die Wanderer von Nazareth
darzustellen, wie sie von Bethlehem weggewiesen
werden. Er starb jedoch, bevor er seine Absicht
ausführen konnte. Eine ergreifende Zeichnung von
Christus am Kreuz zeigt uns, was er auf diesem Ge-
biete hätte leisten können.
Millets höchstes technisches Können liegt in
seinen Zeichnungen, in ihnen finden wir sein Gefühl
für Rhythmus und Linienschönheit, seine Phantasie,
seine sichere Technik, — hier erreicht er mit den
einfachsten Mitteln die grössten Wirkungen. Jede
Skizze zeigt Kraft, Bedeutung, Einheit, ein in sich
vollendetes Bild, — und als Ganzes genommen sind
sie die schönsten Blüten seines Genius. Hier ist es
erreicht, was er angestrebt: »II faut pouvoir faire servir
le trivial ä l’expression du sublime.«
 
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