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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 4.1907/​1908

DOI Artikel:
Doehlemann, Karl: Das Motiv der Verkündigung Mariä im Wandel der Zeiten
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OBERER TEIL EINER MINIATUR DER ADAHANDSCHRIFT (PARIS)
Text S. 253

DAS MOTIV DER VERKÜNDIGUNG MARIÄ IM WANDEL DER ZEITEN
Von Universitätsprofessor Dr. KARL DOEHLEMANN (München)

Wenn wir in der Kunstgeschichte gewisse
Perioden unterscheiden, z. B. das Mittel-
alter, die Früh- und Hochrenaissance, die Ba-
rockzeit usw., so soll damit doch angedeutet
werden, daß in einem solchen Zeitraum die
individuellen Unterschiede zurücktreten gegen
gewisse gemeinsame Merkmale, die wir eben
als den Stil dieser Zeit bezeichnen. Sieht man
also ab von der immer noch starken Differen-
zierung in den einzelnen Persönlichkeiten, so
werden solche Zeiträume einen gewissen ein-
heitlichen Eindruck machen, und wir kön-
nen sie in ähnlicher Weise beurteilen, wie
wir dies wohl gelegentlich bei einzelnen Per-
sonen tun: wir sehen zu, wie sie das gleiche
Thema behandeln. Darauf beruht ja auch die
so viel geschmähte, aber kaum zu entbehrende
Einrichtung aller schriftlichen Prüfungen. Auf
die Kunstgeschichte angewandt, führt uns
diese Überlegung dazu, zu beobachten, wie
das gleiche Motiv, das nämliche Sujet in
verschiedenen Zeiten behandelt wurde.
Was die Wahl eines solchen Motivs betrifft,
so muß dasselbe — soll sich unsere ver-
gleichende Betrachtung über einen längeren
Zeitraum erstrecken — derart sein, daß es
die verschiedensten Zeitalter immer wieder
beschäftigt hat. Das ist aber nur bei reli-
giösen Motiven der Fall. Denn sehen wir zu,
was der bildende Künstler sich schon in den
frühesten Zeiten als Gegenstand auserwählte,
so war es zunächst der Mensch, dann aber
die Gottheit in menschenähnlicher Form. Die-
sen menschlichen oder göttlichen Figuren
wurde dann allmählich ein architektonischer

oder landschaftlicher Hintergrund hinzugefügt.
Im Laufe der Zeiten entdeckte man auch die
Schönheit der Landschaft, man benutzte sie,
um die Stimmung des Bildes zu verstärken,
doch dauerte es lange, bis man die Land-
schaft als selbständiges Kunstobjekt behan-
delte. Das geschah erst durch die Holländer
im 17. Jahrhundert, und um diese Zeit wur-
den nun auch die anderen Objekte der Natur,
die Tiere oder die Bauten der Menschen,
ferner ihr Leben und Treiben im Genrebild,
der künstlerischen Darstellung für würdig er-
achtet. Die religiösen Motive aber treten
einerseits von Anfang in der Kunst der Völ-
ker auf, andrerseits verschwinden sie fast zu
keiner Zeit ganz aus der Kunstübung.
Erscheint es damit wohl hinreichend be-
gründet, warum im folgenden ein religiöses
Motiv verfolgt wird, so liegt noch die Frage
nahe, warum gerade die Verkündigung an
Maria ausgewählt wurde. In der Tat würden
sich ja auch die verschiedenen religiösen Mo-
tive alle für den bezeichneten Zweck eignen.
Jedem sind solche Darstellungen bekannt,
z. B. aus dem Alten Testament: der Sünden-
fall, Kain und Abel, die Erschaffung Evas
oder die neutestamentlichen Geschichten: die
Anbetung der Könige, die Taufe Christi, das
Abendmahl, die Kreuzigung, die Auferstehung.
Jedes dieser Motive könnte dazu dienen, die
Darstellung des einen oder anderen Objektes
genauer zu verfolgen. Die Taufe Christi
würde uns z. B. die bildliche Wiedergabe des
Wassers in ihrer allmählichen Entwicklung
vor Augen führen. Das Motiv der Verkün-

Die christliche Kunst. IV.

11. August 1908

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